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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0452
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Brüssel

neuen Kunst besitzen, zu ungeschickt oder zu träge sind. Die frühen italienischen
Manufakturen bieten lehrreiche Beispiele. Wir finden den gleichen Gedanken zur Zeit
des unaufhaltsamen Niederganges, wenn der Unternehmer der Behörde die günstige
finanzielle Wirkung vor Augen zu führen sucht, die in der Abbürdung der Armenlasten,
in der Verbilligung des dem Staate seit Jahrzehnten gut steuernden Bildteppichwirkerei-
betriebes liegen muß.

Fast die gleichen Argumente, die van der Borght dem Brüsseler Magistrate in den
siebziger Jahren unterbreitet, finden wir in den langatmigen Anschreiben des fürstlich
bischöflich würzburgischen Wirkers Pirot an die hochvermögende Kammer (166). Meister
Pirot kann von den geringen Aufträgen nicht leben, er verlangt einen staatlichen Zu-
schuß für die Ausbildung der als Lehrlinge einzustellenden Findelkinder. Yan der Borght
fordert das gleiche, er will jedoch nicht lediglich tüchtige Gesellen heranziehen, ihm ist
es in erster Linie um die Schaffung einer Zeichenschule, wie sie die Pariser Gobelins
aufweisen, zu tun. Der Magistrat antwortet unter dem 2. Juli 1777. Es wird die Ver-
gütung — 308 Gulden jährlich — aufgeführt, die Meister Jakob für den vorgesehenen
Zeichenkursus beansprucht. Es handelt sich um einen vierjährigen Lehrgang, an dem
vier Lehrlinge teilnehmen sollen, die nach Ablauf der Zeitspanne durch neue Zöglinge
ersetzt werden. Yan der Borght glaubt auf diese Weise jungen Leuten einen Anreiz
zu geben, sich der Bildwirkerei zu widmen, die aus dem Gebiete der gewinnbringen-
den Unternehmungen zu verschwinden droht. Die weiteren Ausführungen des Magi-
strats sind von besonderem Interesse durch die klar ausgesprochene Erkenntnis, daß
der Bildwirkerei nichts, rein nichts mehr helfen kann, daß die verlangten Zuschüsse
nur in die Tasche eines Einzelnen fallen, der Allgemeinheit aber nicht mehr zugute
kommen können. A. Wauters bringt in seiner verdienstvollen Schrift über die Brüsseler
Bildteppiche wörtlich das Schreiben des Magistrats (167). Die betreifende Stelle lautet
in der Übertragung: «Der Niedergang der Bildwirkerei ist eine unbedingte Folge-
erscheinung der Veränderung des Geschmackes, der Vermögens Verhältnisse und der
Lebensgewohnheiten. Das Luxusbedürfnis ist Gemeingut aller Stände und Schichten
geworden, zugleich ist als naturgemäße Folge eine Zersplitterung des Interesses ein-
getreten. Lebten die Vorfahren in zwei oder drei Räumen, die nur geringe Ausstattung
bedingten, so verlangen die neuzeitlichen Lebensansprüche ein so zahlreiches Mobiliar,
daß es schlechterdings ausgeschlossen erscheint, für eine bestimmte kostspielige Deko-
rationsart einseitig zu große Summen zu verwenden.

Die Papiertapete, deren niedriger Preis, verbunden mit einer außerordentlichen Mannig-
faltigkeit, sich leicht jedem Geldbeutel anpaßt, die jeder Stimmung, jeder Laune, schnelle
und nicht allzu teure Befriedigung gewährt, bringt den kostbaren gewirkten Tapeten
den Untergang. Die neue Zeit will kapriziöse Beweglichkeit, der Bildteppich verlangt
Stetigkeit." Die Ausführungen schließen nach unzweideutiger Ablehnung des van der
Borghtschen Gesuches mit einem scharf abweisenden Urteil, das einer gewissen Be-
rechtigung nicht entbehrt: „Es ist unnütz, die Zahl von Künstlern zu vermehren, wenn
kein Absatz mehr vorhanden ist, der ihren Unterhalt ermöglicht."

Die Idee van der Borghts, die Errichtung einer Art Zeichenakademie, wohl nur die
Vorstufe zu der Verstaatlichung seiner Manufaktur zu einem den Gobelins ähnliches Unter-
nehmen unter der Ägide des Hauses Habsburg oder Lothringen, war gescheitert. Auch
seine Beschwerde bei dem Prinzen Karl von Lothringen, der sich in seinem Sinne
nochmals an den Brüsseler Rat wandte, blieb ohne Erfolg. Die Überzeugung von
dem unaufhaltsamen Niedergange der berühmten Brüsseler Kunstindustrie saß fest-
gewurzelt und unausrottbar in den Köpfen der maßgebendeu Persönlichkeiten.

Der Tod der beiden hohen Gönner der Manufaktur, der Kaiserin Maria Theresia
und des Statthalters Karl von Lothringen, bringt einen weiteren Rückgang des Unter-
nehmens. Als Joseph H. am 27. Juni 1781 das van der Borghtsche Atelier besucht,
sind nur noch drei Stühle im Gang. Die blutigen Unruhen vom Jahre 1787 bleiben
nicht ohne Einwirkung auf die immer kleiner werdende van der Borghtsche Manu-
faktur, der jede Unterstützung von seiten der Regierung fehlt. Die aufständige Be-

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