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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (I. Teil, Band 1): Die Niederlande — Leipzig, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.12244#0493
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Brüssel

der Bildteppichfassung — den vier Ecken und den Mitten der Seitenbordüren einver-
leibt. Die Stuttgarter Akten, die sich mit der Manufaktur der de Cannes befassen,
geben einen urkundlichen Beleg für den Vorgang (Abb. 380).

Einen weiteren Gewinn bringen die Apostelfassungen in Gestalt der Fabelwesen der
Antike, der Satyre, der Faune, kurz all des groteskenhaften Gesindels, das bald in
dem flämischen Laubwerk seinen Einzug hält. Nicht zu vergessen sind die mehr
architektonisch-dekorativen Motive, in erster Linie die reichen Vasen, Portiken, Kar-
tuschen, Fruchtgehänge und dergleichen mehr.

Mit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beginnt die Auflösung der Einheits-
bordüre; das Hohlkehlenmotiv wird durch eine Fülle u antikischer ^ Einzelheiten ver-
wischt; das Bestreben der einzelnen Manufakturen ist unverkennbar, noch mehr wie
zuvor, sich typische Hausbordüren zu schaffen, die dem Kundigen, auch ohne Marke,
den Fabrikanten verraten. Große Ateliers begnügen sich naturgemäß nicht mit einem
Motive; für verschiedene Meister lassen sich fünf bis sieben Fassungen nachweisen, die
natürlich nicht sämtlich im gleichen Zeitabschnitte entstanden sind.

Die Roll- und Bandwerkornamente, die sich zunächst nur schüchtern in die Laub-
und Fruchtbordüre einschleichen und der zu einheitlichen Fläche eine Art Gerippe
verleihen (Abb. 61, 279, 356), gewinnen um 1550 derart an Bedeutung, daß das Haupt-
motiv stark zurücktritt, bisweilen gänzlich verschwindet, um Maskarons und Allegorien
der verschiedensten Art die alleinige Herrschaft zu überlassen. Die Bordüren der
Wiener Todsündenfolgen geben treffende Beispiele (Abb. 79). Die gleiche Sammlung
zeigt in der Fassung der Tugendteppiche die glückliche Einfügung italienisierender
Idealgestalten in den Laubwerksrahmen (Abb. 86). Bezeichnenderweise sind aus den
architektonischen Portiken Laubengänge geworden, die sich ganz vorzüglich dem Ge-
samtbilde einfügen; Band werk stützt reiche Vasen, aus denen Früchte und Blumen
quellen. Das fröhliche Bunt harmoniert prächtig mit dem Fleischton der Figuren und
den beruhigten Farben der Gewänder. Die letzten Jahrzehnte des 16. Säkulums hetzen
das reizvolle Motiv zu Tode. Mit geometrischer Langweiligkeit wiederholen sich die
Allegorien, die Vasen, die Gehänge und der kümmerliche Rest an Pflanzen werk; ein-
gefügte kleinfigurige Szenen gestalten den Gesamteindruck nur trockener, machen die
Farbenwirkung zerrissener und unerfreulicher.

Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts rahmt eine in zahllose Einzelheiten ver-
zettelte Bordüre (Abb. 152), zuweilen von abnormer Breite, eine Bilddarstellung, die nicht
weniger unruhig wirkt. Die letzten Folgerungen sind gezogen. Bei alledem darf nicht
vergessen werden, daß unmerklich die Umwandlung des gewirkten Bilderrahmens in die
Bildteppichfassung sich vollendet hat. Schon das durchgebildete Hohlkehlmotiv ließ
nur noch schwach den Zusammenhang fühlen; die ausgereiften, mit welschem Geiste
durchtränkten Formen verleugnen jede Spur von Abhängigkeit.

Mit dieser Feststellung, die einen Entwicklungsgang charakterisiert, soll durchaus
nicht gesagt sein, daß die Nachahmung des reinen Bilderrahmens zeitweise gänzlich
ausgeschaltet war. Der Stuckrahmen in Flachrelief beweist nach wie vor seine alte
Anziehungskraft — die Geschichte des ersten Menschenpaares in der Florentiner Galerie
bringt in den Bordüren in ziegelrotem Camaieu Grotesken und eine Art Triumphzug,
unter Durchbildung selbst der kleinsten Schatten Wirkungen (Abb. 396) —; der ge-
schnitzte Holzrahmen mit aufgesetzten Schildern findet sich wieder in der Bordüre
der Wiener Vertumnus und Pomonafolge (Abb. 103, 105, 106); die gleiche Sammlung
zeigt in der Fructus-Belli-Reihe den Bronzerahmen in ziemlich langweiliger Lösung
(Abb. 282), der übrigens auch verschiedene Scipiofolgen in Madrid und im schwe-
dischen Privatbesitze faßt (Abb. 78). Die berühmte Tunisreihe verwendet den Holz-
rahmen mit dem flachen Flechtbande (Abb. 271); die Renaissancefolge der neun Helden
arbeitet mit einer Fassung, die französischen Einfluß verrät und reichvergoldeten Stuck
oder Bronze wiedergibt (Abb. 82—84), die Lösung erinnert an Bordüren des 18. Jahr-
hunderts; kurz, der Bilderrahmen verliert nie ganz die Herrschaft. Selbst in den Zeiten
der herrlichsten Barockbordüren ist es möglich, daß ein Eggermans seine Jagdszenen

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