Brügge
Die Versandung des Zwijn, die bereits um 1485 den Hafen fast wertlos macht, die
Unruhen und Wirren unter der Herrschaft Maximilians, geben der Stadt den Rest und
öffnen Antwerpen den Weg zum kommerziellen Leben. Die Großbanken, die bis
zum Tode des letzten Burgunderherzogs an Brügge festhalten, wenden sich der neuen
Metropole zu. Die prunkvollen Feste Karls des Kühnen und seiner jungen Gattin
Margarete von York (1468) verdeckten nur dürftig den scharf einsetzenden Niedergang.
Konservativ erweist sich lediglich der „Deutsche Kaufmann", ein Sterbender in einer
sterbenden Stadt. Der einst blühende Nordhandel der Hanse geht in erschreckendem
Maße zurück. Wie das verödete Brügge hofft die zu einem bedeutungslosen Häuflein
zusammengeschmolzene deutsche Kolonie auf einen Umschwung der Zeiten, glaubt an
eine vorübergehende wirtschaftliche Krise. Nicht ohne Interesse ist das Handbuch der
Ordnung, Gebräuche und Gewohnheiten des Deutschen Kaufmanns zu Brügge vom
August 1500 (3). Die Satzung entstand gelegentlich der Erneuerung des Stapelvertrages.
Von Bedeutung für unser Thema erscheint Absatz 13, der von des Deutschen Kauf-
mannes „tapisserye" spricht: „Noch is te wetene unde bi des coopmans clercken unde
husknechte to bestellene, dat des coopmans tapisserije daer de keiser unde koer-
fursten inne staen, an de westsijde van den chore van der choerdoere an unde
voort ummegaende na der langde van den cledern up te hangene usw." Die Folge ist
verschollen. Mit dem beginnenden 16. Jahrhundert besteht in Brügge weder ein nennens-
werter Schiffsverkehr noch irgendein größeres Geldinstitut; ein bedeutungsloser Tuch-
handel bleibt als Rest einstiger Herrlichkeit.
Um so eigenartiger berührt es, daß gerade aus dieser Zeit wirtschaftlichen Todes
die einzige große Brügger Bildteppichfolge stammt, die Geschichte des Sankt Anatol
in der Kirche zu Salins im Jura. 1501 beschließt der Vorstand, dem Schutzpatron
durch Beschaffung würdiger Behänge mit Schilderungen aus des Heiligen Leben und
Leiden eine besondere Ehrung zu erweisen. Zwei Kanoniker werden beauftragt, nach
Flandern zu reisen und einen geeigneten Meister zu werben. Am 4. Februar 1502
erscheint ein Brüsseler Wirker, namens „Marc Vannylque ylinc glye" (!) in Salins und
verpflichtet sich zur Fertigung des ersten Stückes der Folge (4). Der Behang soll
30 Quadratellen fassen, an Art und Güte dem Teppich mit der Geschichte Davids
und Salomos — im Chor der Kirche — gleich kommen. Als Darstellung wird der Ab-
schied des Heiligen von seinen Eltern, dem Königspaar von Schottland, gewählt. Ent-
wurfsskizzen sind bereits vorhanden. Sie werden dem Meister mit dem unaussprech-
lichen Namen ausgehändigt, der mit einem Beauftragten des Kirchenkapitels nach Dijon
reist, um die erforderlichen Wollen — von Seide ist zunächst keine Rede — einzu-
kaufen. Inzwischen schlägt ein Tischler den Wirkereistuhl zusammen. Meister Marc
kehrt zurück, es entstehen starke, nicht näher erläuterte Differenzen, die damit enden,
daß der Vertrag aufgehoben wird, der Brüsseler Meister und seine Gehilfen ziehen
ab, das Kapitel vergütet einen Teil der Unkosten.
Die beiden mit der Beschaffung der Folge betrauten Kanoniker wenden sich nunmehr
an einen der wenigen noch in Brügge ansässigen italienischen Makler, den Genuesen
„messire Dimistre de La Coste", der ihnen als geeignete Persönlichkeit die Wirkerin
Katharina Hasselet, die Frau des Jehan de Wilde, genannt Savaige, empfiehlt. Die
Urkunde spricht ausdrücklich von „damoizelle Katherine Hasselet, tapissiere,......
ledit Jehan de Wilde presant ä faire le marchief et donnant auctorite ä ladicte Katherine,
sa femme pour ce faire". Der Quadratellenpreis wird mit 42 Tournaiser Sols vereinbart.
Ist der Meister identisch mit dem Jehan Sauvage, der 1508 urkundlich als Wirker iu
Tournai bezeugt wird, ist das Brügger Atelier nur ein Zweigbetrieb unter Leitung
seiner Frau (5) ? Andererseits ist die Existenz einer in Brügge ansässigen Künstlerfamilie
de Wilde unzweifelhaft durch die „Keuren" erwiesen (6). Am 15. Juni 1469 wird
„Jacob de Wilde, of die men heedt Jacop de Holandere (den Holländer) als vreemde"
gegen Zahlung der üblichen Eintrittsgebühr in die Malerzunft, der im übrigen auch
verschiedene andere Berufe angehörten, aufgenommen.
Die Herstellung der Anatolfolge geht nicht ohne Stocken vor sich. Nach Ablieferung
494
Die Versandung des Zwijn, die bereits um 1485 den Hafen fast wertlos macht, die
Unruhen und Wirren unter der Herrschaft Maximilians, geben der Stadt den Rest und
öffnen Antwerpen den Weg zum kommerziellen Leben. Die Großbanken, die bis
zum Tode des letzten Burgunderherzogs an Brügge festhalten, wenden sich der neuen
Metropole zu. Die prunkvollen Feste Karls des Kühnen und seiner jungen Gattin
Margarete von York (1468) verdeckten nur dürftig den scharf einsetzenden Niedergang.
Konservativ erweist sich lediglich der „Deutsche Kaufmann", ein Sterbender in einer
sterbenden Stadt. Der einst blühende Nordhandel der Hanse geht in erschreckendem
Maße zurück. Wie das verödete Brügge hofft die zu einem bedeutungslosen Häuflein
zusammengeschmolzene deutsche Kolonie auf einen Umschwung der Zeiten, glaubt an
eine vorübergehende wirtschaftliche Krise. Nicht ohne Interesse ist das Handbuch der
Ordnung, Gebräuche und Gewohnheiten des Deutschen Kaufmanns zu Brügge vom
August 1500 (3). Die Satzung entstand gelegentlich der Erneuerung des Stapelvertrages.
Von Bedeutung für unser Thema erscheint Absatz 13, der von des Deutschen Kauf-
mannes „tapisserye" spricht: „Noch is te wetene unde bi des coopmans clercken unde
husknechte to bestellene, dat des coopmans tapisserije daer de keiser unde koer-
fursten inne staen, an de westsijde van den chore van der choerdoere an unde
voort ummegaende na der langde van den cledern up te hangene usw." Die Folge ist
verschollen. Mit dem beginnenden 16. Jahrhundert besteht in Brügge weder ein nennens-
werter Schiffsverkehr noch irgendein größeres Geldinstitut; ein bedeutungsloser Tuch-
handel bleibt als Rest einstiger Herrlichkeit.
Um so eigenartiger berührt es, daß gerade aus dieser Zeit wirtschaftlichen Todes
die einzige große Brügger Bildteppichfolge stammt, die Geschichte des Sankt Anatol
in der Kirche zu Salins im Jura. 1501 beschließt der Vorstand, dem Schutzpatron
durch Beschaffung würdiger Behänge mit Schilderungen aus des Heiligen Leben und
Leiden eine besondere Ehrung zu erweisen. Zwei Kanoniker werden beauftragt, nach
Flandern zu reisen und einen geeigneten Meister zu werben. Am 4. Februar 1502
erscheint ein Brüsseler Wirker, namens „Marc Vannylque ylinc glye" (!) in Salins und
verpflichtet sich zur Fertigung des ersten Stückes der Folge (4). Der Behang soll
30 Quadratellen fassen, an Art und Güte dem Teppich mit der Geschichte Davids
und Salomos — im Chor der Kirche — gleich kommen. Als Darstellung wird der Ab-
schied des Heiligen von seinen Eltern, dem Königspaar von Schottland, gewählt. Ent-
wurfsskizzen sind bereits vorhanden. Sie werden dem Meister mit dem unaussprech-
lichen Namen ausgehändigt, der mit einem Beauftragten des Kirchenkapitels nach Dijon
reist, um die erforderlichen Wollen — von Seide ist zunächst keine Rede — einzu-
kaufen. Inzwischen schlägt ein Tischler den Wirkereistuhl zusammen. Meister Marc
kehrt zurück, es entstehen starke, nicht näher erläuterte Differenzen, die damit enden,
daß der Vertrag aufgehoben wird, der Brüsseler Meister und seine Gehilfen ziehen
ab, das Kapitel vergütet einen Teil der Unkosten.
Die beiden mit der Beschaffung der Folge betrauten Kanoniker wenden sich nunmehr
an einen der wenigen noch in Brügge ansässigen italienischen Makler, den Genuesen
„messire Dimistre de La Coste", der ihnen als geeignete Persönlichkeit die Wirkerin
Katharina Hasselet, die Frau des Jehan de Wilde, genannt Savaige, empfiehlt. Die
Urkunde spricht ausdrücklich von „damoizelle Katherine Hasselet, tapissiere,......
ledit Jehan de Wilde presant ä faire le marchief et donnant auctorite ä ladicte Katherine,
sa femme pour ce faire". Der Quadratellenpreis wird mit 42 Tournaiser Sols vereinbart.
Ist der Meister identisch mit dem Jehan Sauvage, der 1508 urkundlich als Wirker iu
Tournai bezeugt wird, ist das Brügger Atelier nur ein Zweigbetrieb unter Leitung
seiner Frau (5) ? Andererseits ist die Existenz einer in Brügge ansässigen Künstlerfamilie
de Wilde unzweifelhaft durch die „Keuren" erwiesen (6). Am 15. Juni 1469 wird
„Jacob de Wilde, of die men heedt Jacop de Holandere (den Holländer) als vreemde"
gegen Zahlung der üblichen Eintrittsgebühr in die Malerzunft, der im übrigen auch
verschiedene andere Berufe angehörten, aufgenommen.
Die Herstellung der Anatolfolge geht nicht ohne Stocken vor sich. Nach Ablieferung
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