Tours. Touraine. Grenzgebiete
Neben dem Kranken nimmt ein Mann Aufstellung, Ruten in Bereitschaft, um im ge-
gebenen Momente die Teufelsbeschwörung in drastischer Weise zu unterstützen. Ein
Tiermirakel schließt sich an. Der Geistliche, von drei Gehilfen begleitet, trägt das
Sakrament. Der Heide, dem das Mühen gilt, bleibt völlig ungerührt, dagegen sinkt
sein Roß in die Knie. Angesichts des Wunders entschließt sich der Halsstarrige zur
Annahme des wahren Glaubens.
Noch monströser gestaltet sich die erste Fabel des elften und letzten Behanges, die
nach Schloß Langeais abwanderte.
„Une femme au pays de Pourvence
Jecta es mouches lhostie sacr6e
Lesquelle lors en grande reveience
Luy firent une chapelle ornec".
meldet das Schriftband. Die Bienen sind hingebend bemüht, der Hostie eine Kapelle
zu errichten. Den Abtakt bildet die alte Geschichte von dem frevlerischen Juden
Jonathan, der mehrfach Versuche zur Vernichtung einer heimlich erstandenen Hostie
unternimmt. Im Hintergrunde durchbohrt er die Oblate mit einem Messer, es rinnt
Blut aus dem Stich; auf der Vorderbühne kocht er die Hostie in einem Fleischtopf,
die Gestalt des Gekreuzigten entsteigt dem Gefäße.
Die Sakramentsfolge scheint sich in der Gegend der Loire einer besonderen Liebe
und Verehrung erfreut zu haben. Außer der Serie von Ronceray und Chälons ver-
zeichnete das Inventar der Kathedrale zu Tours eine dritte Reihe, die 1539 als Ge-
schenk des Kanonikus Guillaume Binet der Kirche überwiesen wurde, die in neun,
Bildern, durch Master getrennt, die Eröffnung des Zyklus', die Vergleichsepisoden aus
dem Alten Testamente schildert. Wir finden den Todschlag Kains, das Zusammen-
treffen Abrahams und Melchisedeks, Isaaks Opferung, die Mannalese, die Überreichung
der Schaubrote an David, den Engel, der Elias speist, schließlich als Höhepunkt die
Einsetzung des heiligen Abendmahls. Daß die Wahl der Motive fast wörtlich mit den
Bildern von Ronceray übereinstimmt, berechtigt nicht ohne weiteres an eine Wieder-
holung zu denken.
Verwandt in der Art der Zusammenstellung des Leitfadens, im lyp aber ganz ver-
schieden, ist die große Folge des Christuslebens in der ehemaligen Abtei La Chaise-
Dieu (Abb. 323) (52). Der Stifter der Behänge war Abt Jacques de Senecterre (1491 bis
1518), dessen Wappenschild, von einer Bischofsmütze überdacht, verschiedene Behänge
der Serie tragen. Wie in den vorauf besprochenen Fällen handelt es sich auch hier
um Chorstuhlteppiche, die zum ersten Male am 17. April 1518, am Jahrestage Sankt
Roberts, die Abteikirche schmückten. Den unmittelbaren Leitfaden lieh, wie Emile
Mäle als Erster feststellen durfte, das Illustrationsprinzip der Bibha pauperum (o3).
Cm es vorweg zu bemerken, die bislang der Touraine zugesprochene Serie nähert
sich in weit stärkerem Maße der Eigenart Tournais, ohne sich jedoch ganz mit den
Erzeugnissen der flandrischen Großmanufaktur zu decken. Feststellen läßt sich zu-
nächst, daß verschiedene Patronenmaler am Werke gewesen sein müssen, ungleich
ist ferner die Güte der technischen Durchführung. Die Tatsache ist nicht gerade
verwunderlich; in der Regel sind an derart umfangreichen Folgen, wie die von La
Chaise-Dieu, sowohl verschiedene Zeichner als auch Ateliers beteiligt; wir finden den
gleichen Vorgang für die Manufakturen der Niederlande in unzähligen Beispielen be-
legt. Der Farbenzirkel schließt sich im wesentlichen der niederländischen Skala an,
eigenartige Nuancen wie im „Feudalleben" und in der Stephanusgesclnehte finden
sich nur vereinzelt. Die Durchführung der Gesichtszüge ist ziemlich unterschiedlich;
neben vorzüglich behandelten Köpfen wie das Haupt des Johannes in der Taute Christi
(Abb. 323)
erscheinen rein fabrikmäßig wiedergegebene Inkarnate. Ob ein Tour
naiser Meister in La Chaise-Dieu tätig war? Bemerkenswert ist eine technische Eigen-
art, auf die Guiffrey (54) aufmerksam macht: «La soie est employee avec la tome et
autre fil d'une blancheur remarquable, probablement du lin". Es ist bedauerlich, dun
der Gelehrte, dem eine eingehende Untersuchung gelegentlich der Ausbesserung der
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Neben dem Kranken nimmt ein Mann Aufstellung, Ruten in Bereitschaft, um im ge-
gebenen Momente die Teufelsbeschwörung in drastischer Weise zu unterstützen. Ein
Tiermirakel schließt sich an. Der Geistliche, von drei Gehilfen begleitet, trägt das
Sakrament. Der Heide, dem das Mühen gilt, bleibt völlig ungerührt, dagegen sinkt
sein Roß in die Knie. Angesichts des Wunders entschließt sich der Halsstarrige zur
Annahme des wahren Glaubens.
Noch monströser gestaltet sich die erste Fabel des elften und letzten Behanges, die
nach Schloß Langeais abwanderte.
„Une femme au pays de Pourvence
Jecta es mouches lhostie sacr6e
Lesquelle lors en grande reveience
Luy firent une chapelle ornec".
meldet das Schriftband. Die Bienen sind hingebend bemüht, der Hostie eine Kapelle
zu errichten. Den Abtakt bildet die alte Geschichte von dem frevlerischen Juden
Jonathan, der mehrfach Versuche zur Vernichtung einer heimlich erstandenen Hostie
unternimmt. Im Hintergrunde durchbohrt er die Oblate mit einem Messer, es rinnt
Blut aus dem Stich; auf der Vorderbühne kocht er die Hostie in einem Fleischtopf,
die Gestalt des Gekreuzigten entsteigt dem Gefäße.
Die Sakramentsfolge scheint sich in der Gegend der Loire einer besonderen Liebe
und Verehrung erfreut zu haben. Außer der Serie von Ronceray und Chälons ver-
zeichnete das Inventar der Kathedrale zu Tours eine dritte Reihe, die 1539 als Ge-
schenk des Kanonikus Guillaume Binet der Kirche überwiesen wurde, die in neun,
Bildern, durch Master getrennt, die Eröffnung des Zyklus', die Vergleichsepisoden aus
dem Alten Testamente schildert. Wir finden den Todschlag Kains, das Zusammen-
treffen Abrahams und Melchisedeks, Isaaks Opferung, die Mannalese, die Überreichung
der Schaubrote an David, den Engel, der Elias speist, schließlich als Höhepunkt die
Einsetzung des heiligen Abendmahls. Daß die Wahl der Motive fast wörtlich mit den
Bildern von Ronceray übereinstimmt, berechtigt nicht ohne weiteres an eine Wieder-
holung zu denken.
Verwandt in der Art der Zusammenstellung des Leitfadens, im lyp aber ganz ver-
schieden, ist die große Folge des Christuslebens in der ehemaligen Abtei La Chaise-
Dieu (Abb. 323) (52). Der Stifter der Behänge war Abt Jacques de Senecterre (1491 bis
1518), dessen Wappenschild, von einer Bischofsmütze überdacht, verschiedene Behänge
der Serie tragen. Wie in den vorauf besprochenen Fällen handelt es sich auch hier
um Chorstuhlteppiche, die zum ersten Male am 17. April 1518, am Jahrestage Sankt
Roberts, die Abteikirche schmückten. Den unmittelbaren Leitfaden lieh, wie Emile
Mäle als Erster feststellen durfte, das Illustrationsprinzip der Bibha pauperum (o3).
Cm es vorweg zu bemerken, die bislang der Touraine zugesprochene Serie nähert
sich in weit stärkerem Maße der Eigenart Tournais, ohne sich jedoch ganz mit den
Erzeugnissen der flandrischen Großmanufaktur zu decken. Feststellen läßt sich zu-
nächst, daß verschiedene Patronenmaler am Werke gewesen sein müssen, ungleich
ist ferner die Güte der technischen Durchführung. Die Tatsache ist nicht gerade
verwunderlich; in der Regel sind an derart umfangreichen Folgen, wie die von La
Chaise-Dieu, sowohl verschiedene Zeichner als auch Ateliers beteiligt; wir finden den
gleichen Vorgang für die Manufakturen der Niederlande in unzähligen Beispielen be-
legt. Der Farbenzirkel schließt sich im wesentlichen der niederländischen Skala an,
eigenartige Nuancen wie im „Feudalleben" und in der Stephanusgesclnehte finden
sich nur vereinzelt. Die Durchführung der Gesichtszüge ist ziemlich unterschiedlich;
neben vorzüglich behandelten Köpfen wie das Haupt des Johannes in der Taute Christi
(Abb. 323)
erscheinen rein fabrikmäßig wiedergegebene Inkarnate. Ob ein Tour
naiser Meister in La Chaise-Dieu tätig war? Bemerkenswert ist eine technische Eigen-
art, auf die Guiffrey (54) aufmerksam macht: «La soie est employee avec la tome et
autre fil d'une blancheur remarquable, probablement du lin". Es ist bedauerlich, dun
der Gelehrte, dem eine eingehende Untersuchung gelegentlich der Ausbesserung der
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