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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 1): Die germanischen und slawischen Länder: Deutschland einschließlich Schweiz und Elsass (Mittelalter), Süddeutschland (16. bis 18. Jahrhundert) — Leipzig, 1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.13167#0167
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Franken

wie in der Figdorschen Anbetung naht durch schluchtigen Grund eine Reitergruppe. Die
lebhaft und geschickt zusammengestellte Szene steht in stärkstem Gegensatz zu der steif
erfaßten Geburt (3. Bild). Sofern nicht verschiedenartige Miniaturen oder Holzschnitte ver-
arbeitet wurden, ist, trotz der Verwandtschaft der Typen, vielleicht die Annahme gerecht-
fertigt, daß ein zweiter befähigterer Meister dem Entwürfe der Folge sein Können lieh40).
Walter Fries macht auf die um rund 50 Jahre älteren Fresken im südlichen Kreuzgang-
flügel des Katharinenklosters — ebenfalls die Legende der Namensheiligen — aufmerksam.
Eine unmittelbare Abhängigkeit besteht nicht, wohl aber das gleiche nüchterne Komposi-
tionsschema.

Dem zweiten Fragment41) von St. Sebald fehlen die Schriftbänder und die Hälfte der
ersten (6.) Szene, von der nur noch die Madonna mit dem Christuskind übriggeblieben
ist, die Gestalt der anbetenden Katharina ist verlorengegangen. In der nun folgenden Epi-
sode geht die Taufe Katharinas, in der achten Szene die mystische Verlobung — das nackte
Christuskind, von der sitzenden Gottesmutter auf dem Schoß aufrecht gehalten, steckt der
knienden Katharina den Brautring an den Finger — in Szene. Die Flora ist ein eigenartiges
Gemisch der uns aus den älteren Nürnberger Teppichen bekannten Pflanzenwelt — das
geflammte Gras, die Gewächse mit den herzförmigen Blättern, die auch in den mittel-
rheinischen Wirkereien vorkommenden nierenartigen gelappten Blüten, die typischen
Distelformen usw. — und den mehr oder minder mißlungenen Versuchen, den Natur-
formen näher zu kommen. Die Wirktechnik steht, trotz der primitiven Vorlage, auf be-
merkenswerter Höhe; Augen, Nase und Mund der lieblichen Heiligen sind mit tiefem Aus-
druck unter Verwendung der einfachsten Mittel wiedergegeben. Die Technik der Spalt-
wirkung (Kinnpartie, Körper des nackten Jesuskindes) ist gut erfaßt; die Modellierung der
Gewänder arbeitet nach dem tonigen, in der beschränkten Zahl der kräftigen Farben aber
wesentlich vereinfachten Verfahren der Weise-Männer-Propheten-Teppiche. Die Schraffen-
manier der Niederlande ist nirgends festzustellen. Bemerkenswert sind die großen Augen-
sterne, die an den Typ des Seelenwägers St. Michael im Deichslerschen Grabteppich, noch
mehr an die Madonna im Maihinger Marienteppich erinnern, die sich allerdings in der
Formensprache weit gröber geben. Die Zeit der Entstehung — um 1445 — ergibt sich
unschwer aus Stil und Kleidung.

Ein weiteres, zugehöriges Fragment (H. 0,83 m, L. 4,94 m)42) aus der Sebalduskirche
schildert das Leben der Heiligen in der 9. bis 12. Szene, in der gewohnten Weise durch
Säulchen oder Mauerpfeiler getrennt, wiederum ohne Schriftbänder: St. Katharina streitet
vor Kaiser Maxentius gegen die Götzenverehrung. Der uns bekannte bärtige Mann in der
typischen Redehaltung steht diesmal hinter dem Thron, flankiert von dem Mönch des ersten
Bildes und dem zweiten Begleiter. Rechts folgt dem geistlichen Disput die unveränderte
Schloßanlage der Eröffnungsepisode, selbst der Hund am Bach fehlt nicht. Katharina übt
sich anschließend mit heidnischen Philosophen im Wortgefecht. Fast alle Figuren sind
nach voraufgegangenen Szenen kopiert, Katharina steht in der gleichen Stellung wie vor
dem Kaiser. Die Weisen, von der Macht des Erlösers bezwungen, schwören den heidnischen
Glauben ab, sie werden von dem ergrimmten Maxentius zum Tode verurteilt. Die gefesselten
Männer stehen in einer Art Grube, aus der Flammen züngeln. St. Katharina spricht Trostes-
worte, ihre Stellung ist gegenüber den Disputationsszenen kaum verändert. Der Kaiser be-
fiehlt, die Heilige zu geißeln und zu stäupen. Die gekrönte Katharina ist mit entblößtem
Oberkörper, der in seinen Verrenkungen seltsam gegen das immer gleich milde Antlitz der
Heiligen absticht, an eine Säule gebunden; drei Henker vollziehen in der üblichen Roheit
ihr trauriges Amt; Maxentius verfolgt stehend den Verlauf der Exekution. Als abschließende
Bordüre ist rechts die für die Nürnberger Wirkereien scheinbar unerläßliche Stabranke
noch erhalten geblieben.

20 Göbel, Wandteppiche III.

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