Basel
L. 5,98 m, früher Schloß Sigmaringen, jetzt Sammlung Schloß Rohoncz)96). Die Arbeit ist
fein (7 Kettfäden auf einen Zentimeter), als Material dient Wolle. Das blaue Brokatmuster
steht auf dunkelblauem Grund. Ein Wildmann wandert zum Brunnen, einer gotischen
Kastenfontäne, in der erhobenen Rechten ein Ziergefäß, in der Linken einen Eimer. Ihm
folgt ein Liebespaar. Der Jüngling mit umgehängtem Schellenband und rotem Zottelkleid
spricht: „noch ■ wer ■ liebe ' grot ■ mich • verlangen." Die gekrönte Dame mit dunkelgrü-
nen Zotteln antwortet: „het • es ■ kurtzlich ■ angefangen • gehe • liebe • ist ■ bald • zergan-
gen." Der Pessimismus der Wildleutekönigin zerflattert bereits im nächsten Bild. Ein Pär-
chen •— der Jüngling im roten, das Mädchen im grünen Haarkleid — vollzieht die
mystische Pfropfung des Holunderbaumes, versinnbildlicht das Treuegelöbnis: „konden ■
ir • mich ■ underwisen ■ das • der • holder ■ nit • wfd • risen "; eifrig zuredend entgegnet
das Mädchen. „wdlt ■ du • stet • und • fest ■ beliben ■
so • hilf • mir ■ dise ■ holder ■ zwigen."
Vor der mit Eichlaub bekleideten Hütte steht die Wildfrau, auf dem Arme das nackte,
noch ungezottelte Kind; sie nimmt den Hasen in Empfang, den der heimkehrende Gefährte,
die Lanze schulternd, ihr überreicht. Der hochgeführte Hüttenbau macht ein Spruchband
illusorisch. In enger Anlehnung an die früheren Tierteppiche zieht ein roter Wildmann zwei
Bestien an der Leine, die anscheinend ein Dromedar und einen Elefanten darstellen sollen:
„nieman ■ kan ■ sich • fristen ■
vor • der ■ weit ■ grossen • listen."
Daß die beiden Monstren Laster darstellen, wie B. Kurth annimmt97), glaube ich nicht; zum
mindesten läßt sich der Elefant nicht mit dem bösen Prinzip in Verbindung bringen. Die
Wildleute mit ihren Tieren sind lediglich dekoratives Moment; im übrigen bewegen sich
Inhalt und Gedankengang der Spruchbänder allzu sehr auf der Oberfläche; von einem tiefen
mystischen Sinn ist keine Rede. Die im 15. Säkulum bis zum Überdruß wiederholte pessimi-
stische Auffassung, die Abkehr von den Lüsten und Übeln der Welt, mit denen der Mensch
doch so gern liebäugelt, von dem geringen Bestände von Liebe und Treue, artet, namentlich
in der Spätzeit, nicht selten zu gemeinplatzartigen Sentenzen aus. Eine Reminiszenz an die
zeitgenössische, vielleicht auch frühere Dichtung, die den Durchschnitt der üblichen
Spruchbandliteratur überschreitet, kündet sich in den nächsten Legenden. Ein bärtiger
Waldmensch, den Schellenkranz um die hellgrün gezottelten Lenden, gibt der von einem
Brokatmantel umflossenen, gekrönten Frau „Ehre" — im dunkelgrünen Zottelkleid — auf
die Klage:
die Bestätigung:
„do • clagen • wir ■ die ■ werden ■ fürsten 1 guot
die • hend ■ kein • trw ■ noch ■ stette ■ muot"
„ir • früwen • aller ■ fugenden ■ rieh ■
uwer • clag ■ ist • ernstlich."
Anschließend sitzt als Einzelfigur Herrin Minne in rotem Haarkleid, den grünen Mantel
über den Knien, auf einem von Löwen getragenen Stuhl, auf dem Schöße ein Hündchen:
„fruw ■ er • und ■ ich ■ die • clagen • wol •
die • weit • ist • untrw ■ vol "
Den Abtakt bildet wieder das Brunnenbecken; ein Pärchen — der Jüngling mit roten,
das Mädchen mit hellgrünen Zotteln — wandelt verliebt nach dem kühlenden Bron-
nen. Der Teppich, zweifellos Basler Erzeugnis, dürfte etwa ein Jahrzehnt vor dem
Flachslandtbehang entstanden sein. Die Figuren geben sich weniger bewegt, in der
Haltung steifer, sie sind etwas schematisch dem glücklicher gelösten Brokathintergrunde
aufgelegt; die Führung der Spruchbänder entbehrt der zusammenfassenden, unterstreichen-
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L. 5,98 m, früher Schloß Sigmaringen, jetzt Sammlung Schloß Rohoncz)96). Die Arbeit ist
fein (7 Kettfäden auf einen Zentimeter), als Material dient Wolle. Das blaue Brokatmuster
steht auf dunkelblauem Grund. Ein Wildmann wandert zum Brunnen, einer gotischen
Kastenfontäne, in der erhobenen Rechten ein Ziergefäß, in der Linken einen Eimer. Ihm
folgt ein Liebespaar. Der Jüngling mit umgehängtem Schellenband und rotem Zottelkleid
spricht: „noch ■ wer ■ liebe ' grot ■ mich • verlangen." Die gekrönte Dame mit dunkelgrü-
nen Zotteln antwortet: „het • es ■ kurtzlich ■ angefangen • gehe • liebe • ist ■ bald • zergan-
gen." Der Pessimismus der Wildleutekönigin zerflattert bereits im nächsten Bild. Ein Pär-
chen •— der Jüngling im roten, das Mädchen im grünen Haarkleid — vollzieht die
mystische Pfropfung des Holunderbaumes, versinnbildlicht das Treuegelöbnis: „konden ■
ir • mich ■ underwisen ■ das • der • holder ■ nit • wfd • risen "; eifrig zuredend entgegnet
das Mädchen. „wdlt ■ du • stet • und • fest ■ beliben ■
so • hilf • mir ■ dise ■ holder ■ zwigen."
Vor der mit Eichlaub bekleideten Hütte steht die Wildfrau, auf dem Arme das nackte,
noch ungezottelte Kind; sie nimmt den Hasen in Empfang, den der heimkehrende Gefährte,
die Lanze schulternd, ihr überreicht. Der hochgeführte Hüttenbau macht ein Spruchband
illusorisch. In enger Anlehnung an die früheren Tierteppiche zieht ein roter Wildmann zwei
Bestien an der Leine, die anscheinend ein Dromedar und einen Elefanten darstellen sollen:
„nieman ■ kan ■ sich • fristen ■
vor • der ■ weit ■ grossen • listen."
Daß die beiden Monstren Laster darstellen, wie B. Kurth annimmt97), glaube ich nicht; zum
mindesten läßt sich der Elefant nicht mit dem bösen Prinzip in Verbindung bringen. Die
Wildleute mit ihren Tieren sind lediglich dekoratives Moment; im übrigen bewegen sich
Inhalt und Gedankengang der Spruchbänder allzu sehr auf der Oberfläche; von einem tiefen
mystischen Sinn ist keine Rede. Die im 15. Säkulum bis zum Überdruß wiederholte pessimi-
stische Auffassung, die Abkehr von den Lüsten und Übeln der Welt, mit denen der Mensch
doch so gern liebäugelt, von dem geringen Bestände von Liebe und Treue, artet, namentlich
in der Spätzeit, nicht selten zu gemeinplatzartigen Sentenzen aus. Eine Reminiszenz an die
zeitgenössische, vielleicht auch frühere Dichtung, die den Durchschnitt der üblichen
Spruchbandliteratur überschreitet, kündet sich in den nächsten Legenden. Ein bärtiger
Waldmensch, den Schellenkranz um die hellgrün gezottelten Lenden, gibt der von einem
Brokatmantel umflossenen, gekrönten Frau „Ehre" — im dunkelgrünen Zottelkleid — auf
die Klage:
die Bestätigung:
„do • clagen • wir ■ die ■ werden ■ fürsten 1 guot
die • hend ■ kein • trw ■ noch ■ stette ■ muot"
„ir • früwen • aller ■ fugenden ■ rieh ■
uwer • clag ■ ist • ernstlich."
Anschließend sitzt als Einzelfigur Herrin Minne in rotem Haarkleid, den grünen Mantel
über den Knien, auf einem von Löwen getragenen Stuhl, auf dem Schöße ein Hündchen:
„fruw ■ er • und ■ ich ■ die • clagen • wol •
die • weit • ist • untrw ■ vol "
Den Abtakt bildet wieder das Brunnenbecken; ein Pärchen — der Jüngling mit roten,
das Mädchen mit hellgrünen Zotteln — wandelt verliebt nach dem kühlenden Bron-
nen. Der Teppich, zweifellos Basler Erzeugnis, dürfte etwa ein Jahrzehnt vor dem
Flachslandtbehang entstanden sein. Die Figuren geben sich weniger bewegt, in der
Haltung steifer, sie sind etwas schematisch dem glücklicher gelösten Brokathintergrunde
aufgelegt; die Führung der Spruchbänder entbehrt der zusammenfassenden, unterstreichen-
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