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Göbel, Heinrich
Wandteppiche (III. Teil, Band 2): Die germanischen und slawischen Länder: West-, Mittel-, Ost- und Norddeutschland, England, Irland, Schweden,Norwegen, Dänemark, Russland, Polen, Litauen — Leipzig, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.13168#0022
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2. Frankenthal.

a) Urkundliche Belege.

Die Entstehung der Frankenthaler Bildwirkerkolonie fällt in den Beginn der sechziger
Jahre des 16. Säkulums. 1562 (1565) erfolgt die Aufhebung der Frankenthaler Klöster. Der
glaubenseifrige reformierte Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz stellt den Ort den ver-
triebenen niederländischen Kalvinisten zur Verfügung27). Im Juli 1562 erscheint der Pre-
diger Petrus Dathenus mit 58 Familien, die gemäß der Kapitulation vom 13. Juni 1562 als
kurfürstliche Untertanen anerkannt und dem Oberamte Neustadt inkorporiert werden.
Georg Witzel bringt ausführlicher die Namen28). Joh. Kraus verwertet das Material in sei-
nem Aufsatze „Die Wandteppich-Fabrikation in Frankenthal im 16. und 17. Jahrhun-
dert"29), wobei ihm allerdings der Irrtum unterläuft den Ausdruck „Textor panni hondis-
cotani (Arrasmacher — Baschmacher — Hersteller der Bäsch oder Arras genannten Tü-
cher) mit Bildwirker (Arraswirker)" zu identifizieren30).

Tatsächlich finden sich unter den ersten Bürgern Frankenthals lediglich drei Wirker:
Jacob de Donder, Willem Tristeren, Adriaen van Wymez. Der Herkunftsort wird nicht
genannt. Die van Wymez (van Weimes) zählen zu den Oudenaarder Kleinmeistern31);
wahrscheinlich entstammten auch die beiden erstgenannten Wirker der flandrischen Zen-
trale. Zu Ende der sechziger Jahre übernehmen Jakob de Carmes und sein Sohn Moritz,
beide aus einem angesehenen Brüsseler Wirkergeschlecht32), die führende Bolle. Einzelhei-
ten erübrigen sich, die Werkstätten der de Carmes fanden bereits bei Besprechung der
Manufaktur Stuttgart eingehende Berücksichtigung33).

Die Oudenaarder Kolonie erfährt um 1567 einen Zuwachs durch Joris van Steenbecke,
der unter dem 7. November 1568 Lisken Marquards van Walen als Gattin heimführt34);
1571 erscheint ein Gillis Tavernier (18. November) — vielleicht ein Abkömmling der be-
kannten Oudenaarder Miniaturistenfamilie leTavernier—in den Heiratsregistern. 1573 figu-
riert ein Aert Wiels (Wills) als „legwercker von Fleurken Buss" in den gleichen Listen; zwi-
schen 1579 und 1580 wird Geerhard van Orley als Bürger aufgenommen. Bund ein Viertel-
jahrhundert lang spielt Everard van Orley — ob mit Geerhard identisch? — die führende
Bolle. Der Meister ist im Hauptberuf Patronenzeichner; er betreibt außerdem ein umfang-
reiches Bildwirkeratelier und beschäftigt eine Anzahl Kleinmeister in seinen Diensten.
Everard entstammt der Ehe des Brüsseler Patronenmalers Philipp van Orley und der Eli-
sabeth Oynens35); sein Onkel Nikolaus van Orley, der Sohn des Gomar van Orley, ist uns
bereits aus der Stuttgarter Manufaktur bekannt. Als Vertrauenspersonen erscheinen bei
der Bekundung der ehelichen Abstammung Everards zwei nach Frankenthal übergesiedelte
Brüsseler, der Wirker Eberhard van Heyst und der Maler Jan van den Bossche, beide im
Alter von 68 Jahren. Jan van den Bossche ist wahrscheinlich der Sohn, zum mindesten ein
naher Verwandter, des Brüsseler Großwirkers Pieter van den Bosche, der als intimer
Freund Bernard van Orleys in den wenig erquicklichen Glaubensverhören 1527 als Mit-
angeklagter erscheint36); Everard van Heyst ist Angehöriger eines bekannten Brüsseler
Wirkergeschlechtes, das um 1566 in Jan van Heyst seinen Hauptvertreter fand37). Für die
Bedeutung der Familie der van Heyst (Heist) spricht schon die Tatsache, daß der Meister
1574 eine Tochter des Gründers der Kolonie, P. Dathenus, als Hausfrau heimführt.

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