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Goldschmidt, Adolph
Die deutsche Buchmalerei (Band 2): Die ottonische Buchmalerei — Firenze, 1928

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https://doi.org/10.11588/diglit.25238#0014
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abhängig erste Kindheitsschritte tun, oder das Vorgesetzte nach Möglichkeit
kopieren mußten. Man wählte das Letztere, weil ja auch der gegebene Inhalt
fertig von außen aufgenommen wurde, und mit jedem neuen Vorbild kamen
neue Anregungen.

Nachdem die ersten derartigen Uebernahmen auf dem irisch-angelsächsi-
schen Gebiet geschaffen worden waren und sich mit denen im Karoünger-
reich verbunden hatten, wo seit Karl dem Großen mit großem Eifer vor-
bildliches Material herangeschalft worden war, gelangte unter den Ottonen
in den ostfränkischen Klöstern, in denen man sich schon an künstlerischen
Luxus gewöhnt hatte, neues Bildermaterial in die Schreibstuben, sicherlich
nicht ohne eifrige Bemühung der Aebte. Mit den Beziehungen der deut-
schen Kaiser zum griechischen Kaisertum erschlossen sich neue Quellen.
Kam es zur Zeit Karls des Großen und seiner Nachfolger in erster Linie
darauf an, gute reine Texte der christlichen und antiken Ueberlieferung
zu erhalten, und wurden dazu die Klöster von Montecassino und Unteritalien
in Anspruch genommen, desgleichen auch die Küsten des Mittelmeeres —
zwischen Syrien, Aegypten und den westeuropäischen Küsten gab es einen
starken Verkehr —, so erhielt unter den Ottonen, wie es scheint, der Aus-
tausch von Schätzen zwischen den Herrschern selbst eine größere Bedeu-
tung, und es mögen auf diesem Weg manche Luxushandschriften, bei denen
der Nachdruck eben auf dem Bilderreichtum lag, nach Deutschland gekommen
sein, sowohl solche älteren Datums als auch solche, die neu angefertigt waren.

Es ist auffallend, daß wir unter den Handschriften des neunten Jahr-
hunderts keinen einzigen Zyklus der neutestamentlichen Geschehnisse be-
sitzen, obgleich wir von ihrer Existenz an den Kirchenwänden aus den
literarischen Zeugnissen wissen. Nur andeutungsweise oder vereinzelt sind
die Ereignisse der Evangelien in den Initialen des Drogosacramentars aus der
ZeitLudwigs desFrommen oder als kleine ornamentaleFüllungauf Zierseiten
von Evangelien, oder auch ais plastischer Schmuck auf den Buchdeckeln und
anderen Kultgeräten wiedergegeben. Wo wir zusammenhängenden Szenen-
reihen begegnen, handelt es sich um die Geschichten des Alten Testamentes,
wie in der Bibel von St. Paul in Rom und dem Psalterium Aureum in St.
Gallen, oder um wissenschaftliche und erbauliche Werke wie die Sternkunde
des Aratus oder die Psychomachie des Prudentius und die Komödien des
Terenz.

In der Zeit der Ottonen ist es gerade umgekehrt, da erscheinen in den

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