der Reichenau wir besonders Arthur Haseloff verdanken, setzt dort plötz-
lich ein, nachdem bis dahin die Bücher, die man auf der Reichenau herstellte,
einen ganz andern Charakter trugen. Nicht nur dies, sondern auch die Art
der Verwandtschaft, die diese Handschriften untereinander zeigen, die Ueber-
einstimmung vieler Darstellungen, die nicht auf direkte Abschrift voneinan-
der deutet, sondern auf eine Filiation von Original und Ableitungen, wie sie
bei jeder philologischen Untersuchung von Texten die Grundlage zur Her-
stellung eines Urtextes bildet, lassen auf eine Anzahl verlorengegangener Ur-
bilder schließen, die, plötzlich auf der Reichenau eingeführt, den Ausgangs-
punkt für die neue Kunstrichtung schufen.
Dabei muß in Betracht gezogen werden, daß die Mönche der Reichenau
keine Neulinge im Zeichnen waren, und daß sie sowohl ihre bisherige Tra-
dition weiterwirken iießen, als auch ganz besonders imstande waren, selb-
ständig zu variieren und zu verknüpfen, sowie eine geschickte Synthese mit
hervorragenden Werken der älteren Schulen zu üben.
Gerade weil eine nicht unbeträchtliche Anzahl von illustrierten Hand-
schriften dieses Klosters erhalten sind, kann man sich einen Einblick in die
Arbeitsweise verschaffen und versuchen, eine Vorstellung von der Art der
zugrundeliegenden Zyklen zu bekommen. Danach scheint es, daß man auf
der Reichenau seit etwa 970 zwei Bilderserien besaß, und zwar die eine der-
selbeneineFolge vonin sich abgeschlossenen, von einfacher Leiste umrahmten
Darstellungen, wie sie den spätantiken Illustrationen lateinischer und griechi-
scher Texte entsprechen, wie denen der ältesten Virgil- und Homercodices, der
Quedlinburger Italafragmente und der auf alexandrinische Vorbilder zurück-
greifenden byzantinischcn Handschriften wie des Pariser Psalters Graec. 159,
die andere eine fortlaufende Erzählung in Streifen, entweder in der Form
einer Rolle, oder schon in Reihen auf die Blätter eines Codex übertra-
gen, wie in karolingischen Handschriften auf den turonischen Bibelblät-
tern oder wie in dem byzantinischen Gregor von Nazianz in Paris. Auch
in der Wiener Genesis schon hat diese Form ihre Spuren hinterlassen. Aus
beiden Arten haben die Reichenauer Mönche ihre Vorbilder gewählt, und
oft spiegelt sich in ihrer Entlehnung noch die ursprüngliche Form. So er-
gibt sich schon bei den beiden frühesten Erzeugnissen, dem für Otto II.
Taf.1—3 oderlll. geschriebenen Evangeliar im Aachener Dom und dem für den Erz-
bischof Egbert von Trier von den beiden Reichenauer Mönchen Kerald und
Taf.4—6 Heribert wohl um 980 angefertigten Evangelistar der Unterschied, daß das
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lich ein, nachdem bis dahin die Bücher, die man auf der Reichenau herstellte,
einen ganz andern Charakter trugen. Nicht nur dies, sondern auch die Art
der Verwandtschaft, die diese Handschriften untereinander zeigen, die Ueber-
einstimmung vieler Darstellungen, die nicht auf direkte Abschrift voneinan-
der deutet, sondern auf eine Filiation von Original und Ableitungen, wie sie
bei jeder philologischen Untersuchung von Texten die Grundlage zur Her-
stellung eines Urtextes bildet, lassen auf eine Anzahl verlorengegangener Ur-
bilder schließen, die, plötzlich auf der Reichenau eingeführt, den Ausgangs-
punkt für die neue Kunstrichtung schufen.
Dabei muß in Betracht gezogen werden, daß die Mönche der Reichenau
keine Neulinge im Zeichnen waren, und daß sie sowohl ihre bisherige Tra-
dition weiterwirken iießen, als auch ganz besonders imstande waren, selb-
ständig zu variieren und zu verknüpfen, sowie eine geschickte Synthese mit
hervorragenden Werken der älteren Schulen zu üben.
Gerade weil eine nicht unbeträchtliche Anzahl von illustrierten Hand-
schriften dieses Klosters erhalten sind, kann man sich einen Einblick in die
Arbeitsweise verschaffen und versuchen, eine Vorstellung von der Art der
zugrundeliegenden Zyklen zu bekommen. Danach scheint es, daß man auf
der Reichenau seit etwa 970 zwei Bilderserien besaß, und zwar die eine der-
selbeneineFolge vonin sich abgeschlossenen, von einfacher Leiste umrahmten
Darstellungen, wie sie den spätantiken Illustrationen lateinischer und griechi-
scher Texte entsprechen, wie denen der ältesten Virgil- und Homercodices, der
Quedlinburger Italafragmente und der auf alexandrinische Vorbilder zurück-
greifenden byzantinischcn Handschriften wie des Pariser Psalters Graec. 159,
die andere eine fortlaufende Erzählung in Streifen, entweder in der Form
einer Rolle, oder schon in Reihen auf die Blätter eines Codex übertra-
gen, wie in karolingischen Handschriften auf den turonischen Bibelblät-
tern oder wie in dem byzantinischen Gregor von Nazianz in Paris. Auch
in der Wiener Genesis schon hat diese Form ihre Spuren hinterlassen. Aus
beiden Arten haben die Reichenauer Mönche ihre Vorbilder gewählt, und
oft spiegelt sich in ihrer Entlehnung noch die ursprüngliche Form. So er-
gibt sich schon bei den beiden frühesten Erzeugnissen, dem für Otto II.
Taf.1—3 oderlll. geschriebenen Evangeliar im Aachener Dom und dem für den Erz-
bischof Egbert von Trier von den beiden Reichenauer Mönchen Kerald und
Taf.4—6 Heribert wohl um 980 angefertigten Evangelistar der Unterschied, daß das
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