Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neue Kunst Hans Goltz <Firma> [Hrsg.]
Neue Kunst: Katalog der II. Gesamtausstellung, Neue Kunst Hans Goltz, München; August - September 1913 — München, 1913

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41955#0006
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE NEUE KUNST
Es gibt keinen grösseren Gegensatz als den zwischen Natur und Kunst.
Das Witzlein der Lacher am Schaufenster wird sagen: „Das sieht
man — aber es war, Gott Lob, nicht immer so.“ Die Guten täuschen
sich. Es war bei aller guten Kunst immer so; sie haben es nur
nicht gemerkt. Weil Leibi sich bei der Darstellung der Lormen an
die Welt der natürlichen Gegenstände hielt, meinen sie, das Wesen
seiner Kunst sei die Abbildung der Wirklichkeit. Nie ist in der
Welt eine subalternere und schädlichere Ästhetik verkündet worden
als die des Aristoteles, die da sagt, Kunst bestehe in der „Nach-
ahmung“ der Wirklichkeit. Leibis Bilder sind nicht deswegen schön,
weil man auf ihnen das Wirtsmädel von Schondorf oder den Frei-
herrn von Perfall so genau wiedererkennt, sondern deswegen, weil er
aus der Erscheinung der Menschen und der Dinge freie Schönheiten
abgeleitet hat, die ganz abstrakt, nur durch ihre eigene Lormgewalt
überwältigen. Es ist amüsant, wie die unentwegten Kritiker sich
in dem Moment zurückziehen, wo ein Grosser wie Leibi einmal die
natürliche Form ganz genau studiert. Sie beklagen sich dann plötzlich
über einen zu weit getriebenen Naturalismus. Man kann es ihnen
nicht recht machen. Der Maler, der ohne die Natur malt, ist ihnen
leichtfertig. Der Maler, der die Naturformen restlos ausschöpft,
wird „krass“ genannt. Sie haben sich eine goldene Mittellinie kon-
struiert. Sie glauben, so sehr sie sich auch dagegen wehren, in
Kunstdingen für Genremenschen zu gelten, nur an eine Natur, die
einen gewissen liebenswürdigen Augenaufschlag hat. Ich muss mich
nochmals auf Pecht berufen. Ich darf es, denn er ist nicht eine
Einzelperson, sondern eine Kaste, ein Kollektivbegriff, eine un-
heilvoll fortwuchernde Spezies. Er begrüsste — das wissen leider
nur wenige >—■ die Genialität Leibis mit folgenden Worten:
„.Leibi, der.ganz systematisch das Schöne im Hässlichen,
in der möglichsten Verunstaltung von Gottes Ebenbild zu suchen
schien. Diesen Kultus der Hässlichkeit überdies noch gewissen
Franzosen zu entlehnen, war um so weniger notwendig, als unsere
Altdeutschen darin auch schon Erkleckliches geleistet haben, ohne
durch den frechen Zynismus zu beleidigen, der diese Courbetsche
Schule so widerwärtig macht. Es gibt doch keine Narrheit, die wir
unseren überrheinischen Nachbarn nicht bereitwillig nachäfften; nur
ihr feines Studium der Form lassen wir beharrlich beiseits“.
 
Annotationen