Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
10

Gaillon

9. KAP.

Kontrast gegen das heitere „parquet" dieses Gartens bildet. Schaut man von oben
hinab, so sieht man zunächst in zwei Labyrinthe, „wie konnte man von hier neckend den
Freund verfolgen, wenn er", wie Sir Henri Wotten noch im XVII. Jahrhundert sagt,
„Beeren sammelnd sich verirrt, bis er sich ohne fremde Hilfe nicht mehr herausfinden
kann"19a. Die übrigen Beete sind bei Du Cerceau von Buchshecken umgeben, die Ecken
mit niederen Bäumen bepflanzt. Ursprünglich waren die Beete auch hier wie in
Blois mit kleinen mit Türen versehenen Holzzäunen eingeschlossen. In der Buchs-
einfassung waren entweder Blumen gepflanzt oder bunte Erde von Schiefer oder Terra-
kotta gestreut. Du Cerceau deutet solche Spielereien in seinen Mustern selten an, die
Rechnungen aber verraten uns, daß die Beete in Wappen ausgelegt waren und daß
allerlei Tiere, von Holz geschnitzt, den Garten zierten20. Ein Meisterstück der Schreiner-
arbeit stand in der Mitte: ein Pavillon, noch reicher als in Blois, da an seinen vier Ecken
kleine Volieren angebracht waren. Seine offene Kuppel schützte den schönen, zweischa-
ligen Brunnen21, ein Schwesterwerk des für Blois von demselben Meister in Tours ver-
fertigten; ein heiliger Johannes krönt die Spitze. Ludwigs XII. friedvolle Gemütsart
nahm seinem Kardinalminister diese Rivalität nicht wie spätere Fürsten übel, er hat
ihm zeitweilig sogar seinen Gärtner abgetreten. Pasello wird auch die Anlage dieser
Gärten zugeschrieben, und einer seiner Sippe, die er nach italienischer Sitte aus der Hei-
mat kommen ließ und die größtenteils wie er das Priesteramt mit der Gärtnerei verban-
den, Piero da Mercogliano, wurde hier dauernd Gärtner22. In der Längenachse, dem
Eingangsturm gegenüber, liegt noch ein kleines, zweistöckiges Gartenkasino, das viel-
leicht ein kleines Wohnappartement enthielt. Nach dem Tale schließt den Garten wie-
der eine Galerie ab, die mit ihren fünf Eingangstüren, den giebelgekrönten Fenstern, ein
Meisterstück in ihrer Art ist; sie hatte im Innern wohl Festsäle. Durch ihre äußeren Fen-
ster hatte man eine vielgerühmte Aussicht auf den darunter liegenden großen Garten
und darüber hinaus auf das anmutige Tal. Hinuntersteigen in den unteren Garten aber
konnte und wollte man nicht. Jede Terrasse mußte noch ein abgeschlossenes Ganzes bil-
den, ohne Rücksicht auf das Schloß oder die andern Gärten, mit eigener Architektur und
eigener axialer Anordnung. Um zu dem sehr viel größeren, auf der dritten Terrasse lie-
genden Garten zu gelangen, mußte man wieder in den Hof zurück und von hier auf ver-
borgenen Treppen herabsteigen. Erst LeNotres Zeit hat die verschiedenen Terrassen auch
hier durch Rampentreppen verbunden. Dieser tiefste Garten, auch axial nicht auf den
oberen gerichtet, war in erster Linie Obst-und Küchengarten23. Zwei schöne Berceaux,
wie man die tonnenförmigen, aus Lattenwerk hergestellten und grün überwachsenen
Gänge nannte, begleiteten den Eingangsweg. Berühmt waren auch hier wieder nächst
Blois die 200 Maulbeerbäume, deren Anzucht im XVI. Jahrhundert zu den vornehm-
sten Aufgaben der Gärtner gehörte. Auch Pfirsiche versuchte man in Gaillon zu ziehen,
mußte aber gestehen, daß sie sehr teuer waren. Neben diesem Garten lag der Weinberg.
Der terrassenförmig ansteigende Park führt zu einer ganz eigenartigen Anlage, der
Eremitage, die aber einer späteren Zeit und einer andern Gartenempfindung angehört.

Gaillon zählt zu den schönsten Blüten der Epoche Ludwigs XII.; um aber die ganze
Eigenart der französischen Richtung und ihr Verhältnis zu ihrer italienischen Lehr-
meisterin zu sehen, muß man im Auge behalten, daß fast zu gleicher Zeit mit Gaillon
Villa Madama erbaut wurde. Hier in Frankreich blieben, dem festen mittelalterlichen
Schloßplan entsprechend, auch die Gärten für sich abgeschlossen, ohne Anschluß an
 
Annotationen