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Gothein, Marie Luise
Indische Gärten: mit 71 Abbildungen — München [u.a.], 1926

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https://doi.org/10.11588/diglit.17363#0080
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giöse Baukunst kraftvoll genug, wie einst den muhamedanischen, jetzt
auch den europäischen Einfluß abzuwehren, und bis auf wenige Aus*
nahmen hat sie sich von jeder europäischen Einmischung freigehalten.
Schlimmer steht es freilich mit der Profanbaukunst und hier besonders
im Palastbau. Hier hatte Britischslndien durch den unheilvollen Einfluß
der Regierungsgebäude, die im 19. Jahrhundert im „Europäerviertel"
jeder Großstadt entstanden, das sichere indische Gefühl verwirrt und
entstellt; denn Europa hatte damals schon keinen eigenen Stil mehr,
mit dem es sich zu ringen verlohnt hätte; die Engländer hatten nur
Klassizismus oder Pseudogotik zu bieten. Die englische Erziehung der
indischen Jugend tat das ihre dazu, um ihr das Gefühl der Superiorität
der fremden Kultur einzuimpfen, so entstand dann das unerfreuliche
Produkt der anglosindischen Bauten.

Etwas besser sieht es in den freien Staaten in Rajputana aus. Hier
hat sich, wie wir sahen, wenn auch nur in einzelnen Ausnahmen, doch
um den Palastbau ein eigener einheimischer Stil ziemlich rein erhalten.
Wichtiger aber für eine Regeneration ist es, daß im Handwerk die
sichere Tradition nicht verloren ging. Bis heute schafft der indische
Handwerker in einer für den Europäer kaum faßbaren Selbständigkeit.
Selten oder nie liegt den Bauleuten ein Plan vor, sie arbeiten nach münd*
liehen Angaben des Mannes, den wir den „leitenden Architekten"
nennen würden.01) Sie glauben an keinen Plan und jeder darf noch in
seine Arbeit seine eigene Erfindung oder doch sein eigenes Wollen hin*
einlegen. In diesem für Europa lange verlorenen Paradiese steckt aber
eine unbesiegliche Kraft und trotz allem europäischen Hochmut eine
unbestreitbare Überlegenheit. Kann Indien sich einmal wieder auch in
der Kunst auf sich selbst besinnen, so sind die Wurzeln nicht ausge*
rissen, aus denen diese wieder bodenständige Nahrung ziehen und das
Falsche und Fremde ausstoßen kann. Baukunst und Gartenkunst in
ihrer sich gegenseitig bedingenden Gestaltung dürften dann dort eine
Auferstehung ihres eigensten Wesens erleben, wie wir sie für Europa
kaum noch erhoffen können.

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