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Kaiserlich-Königliche Hofbibliothek <Wien> [Hrsg.]; Gottlieb, Theodor [Vorr.]
Bucheinbände: Auswahl von technisch und geschichtlich bemerkenswerten Stücken (Band 1): Einleitung — Wien, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.28395#0009
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DIES DIEM DOCET.

EINLEITUNG.

Die Fertigkeit, Bücher zu binden, reicht viel weiter zurück,
als man im allgemeinen anzunehmen geneigt ist. Dabei ist der
Begriff des Buches zu fassen als eine Reihe von Lagen ge-
falteter, durch Heftung vereinigter, mit Text versehener Blätter,
nicht im Sinne des antiken 'über', der, von der Form der ein-
seitig beschriebenen Rolle ausgehend, durchaus nicht der Vor-
stellung moderner, umfangreicher Bände entspricht. Bisher wollte
man das Vorhandensein von Büchern mit gefalteten Lagen nicht
über das vierte Jahrhundert n. Chr. hinaufrücken. Ein lapidares
Zeugnis stellt jedoch fest, daß Bücher dieser Form schon um
das Jahr 200 n. Chr. zu setzen sind.1) ist nun ohne weiteres
klar, daß der Gebrauch solcher Bücher ohne schützende Hülle
nicht anzunehmen ist, sei es, daß man sich die beschriebenen
Blätter aus Papyrus, sei es, daß man sie sich aus Pergament
bestehend denkt. Und eine gewisse Art der Verzierung, wenn
auch spärlich und mit unzureichenden Mitteln, wird schon damals
auf den Einbänden vorhanden gewesen sein.

Der älteste, hier auf Taf. 1 und 2 abgebildete Band aus
Ägypten, der zufolge triftiger Gründe dem 6. Jahrhundert zu-
zuweisen ist, bildet sowohl durch seine Technik als durch die
Art seiner Verzierung ein Zeugnis für eine feste und sichere
Übung, der notwendigerweise eine lange Reihe von Versuchen
und Erfahrungen vorausgegangen sein muß. Dies lehrt die zweck-
entsprechende Verbindung des einstigen Buchblocks mit den
Deckeln, dies zeigt ferner die im Muster für Vorder- und Kehrseite
wechselnde Dekoration. Von den wenigen ägyptischen Einbänden,
die bisher bekannt geworden sind, ist der Wiener jedenfalls der
schönste und wichtigste. Trotzdem er nun, nicht nur in der Reihe
unserer Tafeln, den ältesten Lederband darstellt, bezeichnet er,
wie schon angedeutet wurde, eher einen Höhepunkt buchbinderi-
scher Fertigkeit als deren Beginn, ln Ägypten wurde auch die
Ritztechnik des Leders für Inschriften und zur Darstellung von
Pflanzen, Tieren und menschlichen Figuren geübt, doch ist deren
Verwendung bis jetzt nicht auf Einbanddecken sondern nur
für andere Gebrauchsgegenstände nachweisbar. Selbst kleine
gravierte Handstempel sowie kleine Kreise und Doppelkreise mit
mittlerem Punkt, ganz nach Art der im Mittelalter zur Verzierung
der Einbanddecken verwendeten, waren bekannt. Auch daß hier
schon Papyruspappe statt Holz als Unterlage des Leders ver-
wendet wurde, ist bemerkenswert. Dieses Verfahren erinnert an
die von den Arabern aus Papier bereitete und später bei allen
orientalischen Bänden gebrauchte Pappe (Klebpappe).

Von diesem ältesten Stück scheint zu einem anderen, in
der Literatur bekannten, eine gewisse Verbindung zu bestehen.

l) Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jahrg. 1909, S. 80 (Bemerkung von
Jacobs über die Grabstele des Orthographen Timokrates).

Es ist der Codex des Johannes-Evangeliums, der der Überlieferung
nach im Grabe des hl. Cuthbert (f 687) gefunden wurde und
sich jetzt in der Bibliothek zu Stonyhurst befindet.1) Was ur-
sprünglich Zweifel an seinem hohen Alter erregen konnte, war
die Farbe seines Leders. Die Lederfarben spielen bei Einbänden
eine Rolle ebenso wie die zur Verwendung gelangten Leder-
arten. Auf beides ist ebensosehr zu achten wie auf die Technik.
Der Umstand, daß in den Büchern, die über Geschichte des
Einbandes handeln, das Hauptgewicht auf den äußeren Schmuck
und auf das Zeichnerische des Dekors gelegt zu werden pflegt,
scheint die Erkenntnis der geschichtlichen Zusammenhänge bis-
weilen etwas getrübt zu haben. Das Leder des Cuthbert-Codex
ist rot. Gerade dieser Umstand mag den unzweifelhaft sehr alten
Einband recht hoch hinaufrücken. Wie der hier abgebildete ägyp-
tische Band zeigt, ist die Grundfarbe seines Leders purpurrot.
Ein anderer, im British Museum befindlicher Band des 5. oder
6. Jahrhunderts besteht nach freundlicher Mitteilung Dr. F. R.
Martins gleichfalls aus rotem Leder.2) Ferner beachte man wie
bei dem ägyptischen Bande so auch beim Cuthbert-Codex die Vor-
lagerung von wagrechten Streifen im Mittelfeld und die Ungleich-
artigkeit des Dekors auf beiden Deckeln. Doch ist ein abschließen-
des Urteil über diesen Band ohne nähere Untersuchung nicht
möglich. Wenn Gosse recht hat, stammt auch das Flechtwerk
der irischen Ornamentik, welchem die Zeichnung des Cuthbert-
Bandes entspricht, aus der ägyptisch-koptischen Kunst, wie denn
überhaupt die irischen Mönche mit Ägypten in engem Zusammen-
hänge standen.3)

Die Entwicklung des orientalischen Einbandes im ganzen ist
bis jetzt noch nicht in sicheren Umrissen zu erkennen. Auch die

’) Er ist öfters abgebildet. Ungenügend, nach einer Abreibung z. B. bei
Brassington, History of bookbinding (1894) nebst Angabe von Literatur
S. 85. Dort steht die Ansicht, daß der Band nicht viel später fallen könne
als ins 10. Jahrhundert, wenn auch die Möglichkeit zugegeben wird, er
könne mit dem viel älteren Manuskript gleichzeitig sein. Sehr schön abge-
bildet bei Pr i de a u x, Historical Sketch of bookbinding (vor dem Titelblatt) 1893.

2) Auch das von Cadmug geschriebene Evangeliar der Landes-
bibliothek zu Fulda, das dem ersten Drittel des 8. Jahrhunderts zugewiesen
wird, zeigt auf den Holzdeckeln rotes Leder mit irischer Ornamentik;
vgl. die Abbildung in der: Festgabe zum Bonifatius-Jubiläum 1905, Teil 2
(Die Codices Bonifatiani von Dr. Carl Scherer) S. 32.

3) Palladius kam aus Ägypten, andere ägyptische Mönche siedelten
sich in Südfrankreich und in der Bretagne an. Der irische Mönch Fidelis
verläßt Irland, um Ägypten und das Rote Meer zu sehen; Dicuil beschreibt
die Pyramiden genau. Man muß bedenken, daß Ägypten vor dem 4. Jahr-
hundert die Wiege der christlichen Missionäre war und von hier aus Syrien
und Gallien ihre Lehrer erhielten; vgl. die Besprechung von Dr. H. J. Gosses
Souvenirs de Danmark, Genf (mit 43 Abbildungen), in der Antiquitätenzeitung,
Jahrg. 1893—1894, S. 414.

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