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Grautoff, Otto; Rodin, Auguste [Ill.]
Rodin — Künstler-Monographien, Band 93: Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen & Klasing, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.55313#0120
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angelo sie pflegten. Wenn wir zum Vergleiche nach Parallelen oder Vorahnungen
in der europäischen Kunstgeschichte suchen, so wüßte ich nur einen Künstler zu
nennen, der einmal gegen Ende seines Lebens einen ähnlichen Ton anschlug:
Theodore Gericault. Von der fundamentalen Bedeutung Gericaults wurde schon
in der Einleitung gesprochen. Die gesamte Kunst des neunzehnten Jahrhunderts
ist von ihm und dem Vollender seiner Ideale, Eugene Delacroix, abzuleiten. Die
knappe, aphoristische, malerisch so lebendige und beseelte Art der letzten Entwick-
lungsphase der Rodinschen Zeichenkunst scheint auch schon in Gericault eine Vor-
ahnung zu haben. Eine mit Sepia gehöhte Gouache von Gericault im Museum
zu Orleans: „Der Triumph des Eilen" und im Museum zu Rouen ein weiblicher
Akt in Aquarell vor einen blauen Grund gestellt, beweisen das.
Rembrandt und Gericault sind beide tot, sind historische Größen, denen infolge-
dessen jeder die schuldige Ehrfurcht erweist. Rodin aber ist noch nicht 300 Jahre
tot. Er lebt mitten unter uns, und daraus glauben gar manche das Recht ab-
zuleiten, an ihm ihre Spottlust kühlen zu dürfen. Kann man dem lebenden
Meister nicht auch Gerechtigkeit widerfahren lassen? Hans Wolfgang Singer hat
einmal in sehr deutlicher Weise dem Laien den Weg zum Verständnis Rembrandts
gezeigt. Der Weg führt nicht nur zum Verständnis Rembrandts, er führt zum
Verständnis jedes genialen Meisters.
„Da, wo andere nur eine unangenehme Augenblicksempfindung hatten," schreibt
Singer, „erblickte Rembrandt ein Menschenlos. Unbefangen und wahr ist Rem-
brandt selbstverständlich auch in der Hinsicht, daß er ein .Schön- und ein .Häßlich-
in der Kunst nicht kennt. Gerade das ist der wunde Punkt für das Laienurteil
unsrer Zeit, wenn wir auch gegenüber der letzten Generation schon wieder Fort-
schritte zu einer klareren Scheidung zwischen Kunst und Natur gemacht haben.
Für Rembrandt bestand die Kunst in dem Ausdruck einer persönlich empfundenen
Wahrheit. Wahr kann man jedem Ding der Natur gegenüber sein, wenn man
nur sich selbst gegenüber wahr bleibt. Und da es soweit überhaupt nur auf die
Person und die Wahrheit ankommt, so ist es das Mie-, das im Kunstwerk den
Ausschlag gibt. Ruskin aber und die Förderer des .Schönen- klammern sich an
das Mas-. Sie vollenden dabei einen unerlaubten Gedankengang. Sie springen
von der Kunst hinüber zur Natur und verwirklichen sich das, was sie geschildert
bekommen haben. In der Kunst handelt es sich nicht um die lebenden Modelle,
sondern um das Kunstwerk, und wir haben kein Anrecht auf die Gedankenassoziation,
die uns unangenehme Empfindungen in Erinnerung bringt. Die Kunst und die
Natur sind zwei verschiedene, oft entgegengesetzte Dinge. Das was Rembrandt
als Genie selbst gelang, was übrigens seinem ganzen Zeitalter noch verhältnis-
mäßig leicht fiel, müssen wir uns alle wieder zu erringen suchen; nämlich, unser
genießendes Auge einzustellen, in der Natur auf ,schöne- und .häßliche- Menschen,
in der Kunst auf .gute- und .schlechte- Werke."
Die Ausstellung der Rodinschen Handzeichnungen in der Galerie Bernheim
im Oktober 1907 hatte nicht nur beinll großen Publikum einen durchschlagenden
Erfolg; sie brachte dem Meister auch einen bedeutungsvollen Auftrag ein. Als
Rodin den Staatssekretär der schönen Künste Dujardin-Beaumetz durch seine Aus-
stellung führte, klagte ihm Dujardin-Beaumetz, er hätte schon so häufig darüber
nachgedacht, welchen Auftrag er Rodin zuweisen könne und bis jetzt niemals etwas
gefunden. „Aber heute habe ich eine Idee," fuhr er fort, „ich bin seit langer
Zeit ein Bewunderer Ihrer Zeichenkunst; ich glaube in Ihnen sehr starke und
eigenartige Ansätze zu einem neuen Monumentalstil der Freskomalerei zu sehen und
möchte gern von Ihnen einmal einen Saal ausgemalt haben. Wollen Sie es über-
nehmen, einen Saal des Klosters Saint-Sulpice auszumalen, in den, wie Sie wohl
wissen, nach dem Umbau das Llusöo ein ImxombouvA überführt werden soll?" —
Rodin hat diesen schönen und dankenswerten Auftrag freudig angenommen
und ist besonders glücklich darüber, daß er einmal Gelegenheit haben wird, als
 
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