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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0119
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Fassen wir Thoas anders, im Sinne des wilden Sky-
thenfürsten von unbegrenzter Macht, des hergebrachten histo-
rischen Romantyrannen, bei dem es nur eines Befehles be-
darf, um Vernichtung und Verderben herbeizuführen, fo sind
die feinen Wendungen seiner Seele nicht rein menschlich zu
verstehen, auf denen Goethe's Dichtung beruht.
So nun sind die drei, auf die es ankommt, allein, und
die entscheidende Schlußverhandlung beginnt. Iphigenie über-
nimmt die Leitung. Den König bittet sie, als den Aelteren,
auf der „Billigkeit gelinde Stimme zu hören", den Bruder,
als den Jüngeren, der „raschen Jugend zu gebieten". Thoas
verlangt Beweise, daß Orest Agamemnon's Sohn sei.
Orest.
Hier das Schwert,
Mit dem er Troja's tapfre Männer schlug.
Er verlangt, daß der Tapferste aus des Königs Gefolge
im Zweikampfe ihm gegenübertrete.
Das sei nicht Sitte hier, erwiedert der König. So möge
die Sitte nun mit ihnen beiden den Anfang nehmen, sagt
Orest. Wundervoll dann wieder, wie, was er hinzufügt, den
höheren sittlichen Standpunkt der Griechen kennzeichnet, Verse,
die den ersten Fassungen des Schauspieles fehlen, in Rom
also wohl erst entstanden sind:
Nachahmend heiliget ein ganzes Volk -
Die edle That der Herrscher zum Gesetz.
Und last mich nicht allein für unsre Freiheit,
Laß mich, den Fremden, für die Fremden kämpfen!
Fall' ich, so ist ihr Urtheil mit dem meinen
Gesprochen: aber gönnet mir das Glück,
Zu überwinden, so betrete nie
Ein Mann dies User, dem der schnelle Blick
Hülfreicher Liebe nicht begegnet, und
Getröstet scheide jeglicher hinweg!
 
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