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Wir empfinden, wie das Human-Lehrhafte der Epoche,
in der Goethe's Iphigenie entstand, die Zeiten vor der fran-
zösischen Revolution, deren verheißungsvolle Anfänge Europa
damals mit Hoffnungen erfüllten, in der Ausführung dieser
Stelle des Gedichtes hervortritt, und wie bei Thoas das Ge-
fühl, an den Segnungen höchster Humanität müsse auch er
und sein Volk betheiligt sein, immer lebendiger erwacht. Das
hat Goethe bei der letzten Bearbeitung als etwas mit stär-
kerem Accente zu Betonendes erkannt. Dadurch, daß er den
König Gedanken dieser Art zugänglich macht, erhöht er seinen
Werth in unseren Augen und das Mitgefühl, mit dem wir
endlich Abschied von ihm nehmen. Thoas ist ein armer,
verlassener Mann. Wir fühlen, daß nut Iphigenie das Glück
seines Lebens Abschied von ihm nimmt. Und ebensosehr hebt
Goethe Orest durch diesen Zusatz, der, sobald er von dem
Leiden befreit ist, das seine Seele zu dumpfem Still-
stand verurtheilte, in sich den künftigen Herrscher Mpkene's
erblickt und die Aufgaben erkennt, die zu bewältigen ihn:
obliegen.
Thoas unterliegt diesem Repräsentanten höherer könig-
licher Zukunft. Für ihn bedarf es der Probe nun nicht mehr,
mit der Orest ihm beweisen will, daß er der Sohn Agamem-
non's und Iphigeniens Bruder sei. Der Vorschlag, den
Thoas Orest jetzt macht, hat deshalb etwas Verzweiflungs-
volles: zwar seien genug tapfere Männer, die ihn begleiteten,
doch er selber stehe noch in den Jahren, den Kampf zu
fordern. Thoas kann den Wunsch nicht hegen, Orest zu be-
siegen. Aber es würde der letzte Beweis seiner Liebe zu
Iphigenien gewesen sein, wenn er durch seinen eigenen Unter-
gang ihre und ihres Bruders freie Rückkehr möglich machte.
Wir empfinden, wie das Human-Lehrhafte der Epoche,
in der Goethe's Iphigenie entstand, die Zeiten vor der fran-
zösischen Revolution, deren verheißungsvolle Anfänge Europa
damals mit Hoffnungen erfüllten, in der Ausführung dieser
Stelle des Gedichtes hervortritt, und wie bei Thoas das Ge-
fühl, an den Segnungen höchster Humanität müsse auch er
und sein Volk betheiligt sein, immer lebendiger erwacht. Das
hat Goethe bei der letzten Bearbeitung als etwas mit stär-
kerem Accente zu Betonendes erkannt. Dadurch, daß er den
König Gedanken dieser Art zugänglich macht, erhöht er seinen
Werth in unseren Augen und das Mitgefühl, mit dem wir
endlich Abschied von ihm nehmen. Thoas ist ein armer,
verlassener Mann. Wir fühlen, daß nut Iphigenie das Glück
seines Lebens Abschied von ihm nimmt. Und ebensosehr hebt
Goethe Orest durch diesen Zusatz, der, sobald er von dem
Leiden befreit ist, das seine Seele zu dumpfem Still-
stand verurtheilte, in sich den künftigen Herrscher Mpkene's
erblickt und die Aufgaben erkennt, die zu bewältigen ihn:
obliegen.
Thoas unterliegt diesem Repräsentanten höherer könig-
licher Zukunft. Für ihn bedarf es der Probe nun nicht mehr,
mit der Orest ihm beweisen will, daß er der Sohn Agamem-
non's und Iphigeniens Bruder sei. Der Vorschlag, den
Thoas Orest jetzt macht, hat deshalb etwas Verzweiflungs-
volles: zwar seien genug tapfere Männer, die ihn begleiteten,
doch er selber stehe noch in den Jahren, den Kampf zu
fordern. Thoas kann den Wunsch nicht hegen, Orest zu be-
siegen. Aber es würde der letzte Beweis seiner Liebe zu
Iphigenien gewesen sein, wenn er durch seinen eigenen Unter-
gang ihre und ihres Bruders freie Rückkehr möglich machte.