Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0121
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
97

Iphigenie erhebt Einspruch dagegen. Mit der lieben
Stimme, die Thoas von nun ab nicht mehr hören sollte, be-
richtet sie, welche körperlichen und geistigen Merkmale Orest
als ihren Bruder ihr kenntlich machten. Ihre Rede ist von
ergreifender Schönheit. Wieder, wie im ersten Monologe,
geht sie vom Schicksale der Frau dem des Mannes gegen-
über aus. Alles erwähnt sie dann, was ihr Mißtrauen ein-
flößen konnte, Alles, was dieses Mißtrauen als unmöglich
erscheinen ließ. Wir fühlen, Thoas' letzte Zweifel, wenn er
deren noch hegte, heben sich davon. Aber an den Gedanken,
kämpfend unterzugehen, klammert er sich an. An Iphigenie
wendet er sich:
Und hübe deine Rede jeden Zweifel
Und bändigt' ich den Zorn in meiner Brust —
und sucht mit Gewalt Gründe zusammen und redet sich in
Vorwürfe endlich hinein, an die er selbst nicht glaubt. Da
ergreift Orest das Wort. Den Befehl des Gottes legt er
anders jetzt ans. Die Schwester habe er von den Tauriern
zurückbringen sollen: nicht Diana, Apollo's Schwester, sei
damit gemeint gewesen, sondern seine eigene Schwester, Iphi-
genie! Und an diese wendet Orest sich nun, um ihr für die
Heilung zu danken, die ihm durch sie zu Theil ward. Hier
verschwindet Orest vor uns, und Goethe, .der ihn darstellte,
tritt an feine Stelle, während wir statt Iphigenien Frau von
Stein vor uns haben, die damals jung noch und bezaubernd,
damals bei des Schauspiels erster Darstellung unter den Zu-
schauern saß. Goethe's erste Zeiten in Weimar beherrschten
jenerzeit Alle noch, die an der Darstellung Theil hatten. Die
Huldigung, voll der Alle wußten, empfing Frau voll Stein,
die Alle verstanden, und die sie verdiente lind vor Allen
Herman Grimm, Fragments.
 
Annotationen