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Grimm, Herman
Michelangelo: sein Leben in Geschichte und Kultur seiner Zeit, der Blütezeit der Kunst in Florenz und Rom — Berlin: Safari-Verlag, 1941

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https://doi.org/10.11588/diglit.71912#0068
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Michelangelo, Leonardo und Raffael in Florenz
Apothekers für Wachs und Terpentin, womit man Papier tränkte, das zum Fenster dienen sollte.
So sehen wir Michelangelo hier zeichnen, Leonardo dort malen, und Florenz nach innen und
außen in zufriedenstellenden Verhältnissen. Niemals entwickelte sich die Blüte der Stadt ruhiger
als in jenenTagen, nie hat die Kunst in Florenz Größeres getan und Größeres verheißen als damals.
Raffael Um diesem Anblick für unsere Augen den höchsten Glanz zu verleihen, stellt nun auch
erscheint in Raffael sich ein. Sein Vater, Giovanni Santi, ein Mann, der als Maler und Verfasser einer
Florenz
gereimten Chronik, welche die Geschichte seiner Landesherren, der Herzöge von Urbino,
enthält, Ehrenwertes, wie man zu sagen pflegt, geleistet hatte, ließ ihn elfjährig als verwaistes
Kind zurück. Er wurde von Hause fort zu Perugino nach Perugia in die Lehre getan, und war
genötigt, sich ganz auf sich selbst zu stellen. Wenig älter als zwanzig Jahre hatte er es in Perugia
schon dahin gebracht, als einer der besten Meister der Stadt bekannt zu sein. Er bedurfte eines
größeren Wirkungskreises. So, vom Schicksal gezwungen, sich in die Welt zu schicken, und
von der Natur mit einer Liebenswürdigkeit begabt, die das Wohlwollen der Menschen ihm
zuwandte, betrat er in Florenz den günstigsten Boden für eine höhere Entwicklung, und seine
Werke zeigen, welch ungemeine Förderung ihm dort zuteil ward.
Wie kostbar wäre eine nähere Mitteilung aus dem florentiner Leben dieses einzigen Winters,
wo die drei größten Künstler der neueren Zeit zusammentrafen. Leon ardo im Begriff, mit Michel-
angelo einen Zweikampf einzugehen, in dem es sich um eine ungeheure Beute von Ruhm
handelte, Raffael zwischen beiden noch ohne feste Pläne und eigene Gedanken und nur mit
einer Ahnung der großen Zukunft erst im Herzen, der er entgegenging. Wichtig wäre die nähere
Kenntnis jener Epoche, weil in ihr die Keime zu den späteren persönlichen Verhältnissen
der drei Meister zu liegen scheinen. Raffaels verstorbener Vater war mit Leonardo näher
bekannt gewesen, Perugino, Raffaels Lehrer, mit ihm befreundet. Raffael jung, feurig, an-
schmiegsam, sieht zum ersten Male die erstaunlichen Werke da Vincis und gerät hinein in
die eifersüchtige Erregung der Parteien. War es nicht natürlich, daß er, statt an das zu glauben,
was der Gegner all seiner Freunde und Gönner erst tun wollte, sich an das hielt, was diese selbst
bereits geleistet hatten? Es ist soviel von dem gesprochen, was Raffael und Michelangelo
in der Folge getrennt hielt: dies aber waren die Umstände, unter denen sie sich zum ersten Male
begegneten.
Leonardo, Wie verschiedenartig ist die Jugend dieser drei Männer und die Art, wie sie in die Kunst hinein-
Mic^el^^ kamen. Michelangelo gegen die Wünsche seiner Eltern durch unbeugsamen eigenen Willen;
Leonardo als ein reicher, junger Mensch mit seinem Talente spielend; Raffael als der Sohn eines
Malers, unter Farbentöpfen aufwachsend als gäbe es auf der Welt nur diese eine Tätigkeit.
Michelangelo von Anfang an selbständig, eigene Ideen verfolgend und in Opposition gegen
Eltern und Meister; Leonardo nicht weniger eigenwillig seiner Phantasie nachgehend und
im ganzen Gebiete des geistigen Schaffens umhersuchend nach Aufgaben, die ihn zur Erprobung
seines Geistes verlockten; Raffael in einer stillen Nachahmung gegebener Vorbilder so sehr
befangen, daß seine Werke kaum von den Arbeiten derer zu unterscheiden sind, mit denen
er sich zusammenfand. Und auch die Zukunft, die sich diese Drei bereiteten, doch nur ein
Produkt des einen hervorstehenden Charakterzuges, der genialen Launenhaftigkeit bei Leo-
nardo, des heftigen Willens bei Michelangelo, und einer fast weiblichen Hingabe an die Ver-
hältnisse, die sein Schicksal gestalteten, bei Raffael.
Bei allen dreien sollte hierin bald eine entscheidende Wendung ein treten, und zwar am ersten bei
Michelangelo, den dasjahr 1505 mit dem Manne bekannt werden ließ, durch den er in seiner ganzen
Größe erkannt und in allen seinen Fähigkeiten zur höchsten Entwicklung gezwungen ward.

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