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Grisebach, August
Deutsche Baukunst im XVII. Jahrhundert — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 15: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.55554#0013
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Die Bezeichnung „Spätrenaissance“, die man dieser
Periode zu geben pflegt, mag auf einen Teil der
Schmuckformen zutreffen, sie trifft nicht das eigent-
lich Architektonische. Bei ihm handelt es sich um
etwas Neues. Das hängt damit zusammen, daß den
Deutschen bei ihrer fortdauernden Auseinandersetzung
mit Italien damals eine Kraft offenbar wird, die den
nordischen Menschen wesentlich tiefer zu packen im-
stande war als die Renaissance: der Barock. Das Ver-
hältnis des Deutschen zur klassischen Kunst blieb stets
das des sehnsüchtig bewundernden Fremdlings. Ihre
durchklärte und ausgeglichene Schönheit ging ihm nie
derart in Fleisch und Blut ein, daß er aus ihrem Geiste
heraus Schöpferisches hervorzubringen vermochte. In
den bei aller Disziplinierung innerlich erregten Gestal-
ten des Barock dagegen, in denen ein Kampf wider-
streitender Kräfte nicht zur Ruhe gekommen scheint,
spürte der Norden ein ihm verwandteres Lebensgefühl.
Es ist gewiß kein zufälliges Ereignis, daß um dieselbe
Zeit in Deutschland eine Zuneigung zur Spätgotik er-
wacht. Man wird wohl schon damals, instinktiv, eine
gewisse innere Beziehung zwischen der Spätgotik und
der modernen Richtung, dem Barock, empfunden haben.
Im Kunstgewerbe erscheint die gotische Formenwelt
aufs neue, in der Architektur vornehmlich im Kirchen-
bau der Gegenreformation, aber auch in protestantischen
Kirchen. Übrigens handelt es sich um kein romantisches
Zurückgreifen wie bei der Neugotik des vorigen Jahrhun-
derts, sondern um ein lebendiges Anknüpfen und Weiter-
bilden. Auchbei Bauten, die keine gotischen Formen ver-

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