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EINFÜHRUNG

SEIN LEBEN

Im Frühjahr 1876 träumte der 21-jährige Jacek
Malczewski, enttäuscht vom Unterricht im Atelier
von Jan Matejko, dem Terror des Meisters und
dessen Leidenschaft für historische Themen unter-
worfen, davon, in die Welt zu fliehen. Am ld.Juli
beschrieb er in einem Brief an seinen Vater, sein
zukünftiges künstlerisches Programm, dem er sein
ganzes Leben lang treu bleiben sollte. „... ich möchte
anders malen als Matejko, als alle Maler der Welt,
ich möchte die lebende Welt malen, und nicht die
gemalte - die Realität, die Wahrheit. Meine Gefühle
werde ich dem Publikum zeigen, und keinen durch-
gekauten Brei auf einer bequemen Anrichteplatte
servieren”. Über sechzig Jahre seiner kreativen
Arbeit lang malte Malczewski seine Gefühle, erschuf
seine eigene Welt der Bilder, die sofort erkennbar
war, in der die Kunst, das Vaterland, Gott, die Natur
und die Liebe sich gegenseitig durchdrangen. Die
Welt seiner Kunst stützte sich auf den verformten
griechischen Mythos, den polnischen nationalen
Mythos, auf Volkssagen, die mystische romantische
Poesie von Juliusz Stowacki und die faunischen
Gedichte von Adam Asnyk. Die Liebe zur Lyrik
Slowackis wurde ihm von seinem Vater Julian ver-
mittelt - einem gebildeten Mann, Generalsekretär
der Bodenkreditgesellschaft in Radom, einem Lan-
dadligen des Wappens Tarnawa, der seit einer Gen-
eration seiner Familiengüter beraubt war. Die Mut-
ter des Künstlers, eine geborene Korwin-Szyma-
nowska, stammte aus dem traditionellen Lan-
dadelmilieu. Malczewski wurde am 15. Juli 1854 in
Radom geboren. Seine Kindheit verbrachte er in
seiner Heimatstadt, zusammen mit seiner älteren
Schwester Bronistawa und der jüngeren Helena. Die

Geschwister hielten sich oft bei Verwandten in den
nahegelegenen Dörfern Wielgie, Gardzienice und
Ciepielewo auf. Die Tragödie des Aufstandes von
1863 und das Zusammentreffen mit dessen Teil-
nehmern hinterließ eine bleibende Spur in der
empfindsamen Psyche des neunjährigen Jungen.
In den Jahren 1867-1871 wohnte der junge
Künstler auf dem Gut seines Onkels Feliks Kar-
czewski in Wielgie. Dort bereitete er sich gemeinsam
mit seinen Vettern auf das Gymnasium vor. Die Jun-
gen wurden ausgebildet unter der Leitung des mit
Malczewskis Vater befreundeten Adolf Dygasinski -
einem Teilnehmer des Januaraufstandes, einem aus-
gezeichneten Pädagogen und späteren Schriftsteller.
Mit Dygasinski blieb Malczewski sein ganzes Leben
lang nahe befreundet. Er war es, der dem Jungen das
Lauschen auf die Stimme der Natur beibrachte. In
Wielgie las der kleine Jacek viel, vor allem Goethe
und Homer, er lernte westeuropäische Sprachen,
auch Latein und Griechisch. Er zeichnete viel. Erste
Skizzen aus der Natur, Porträts und Kopien von
Stichen von Gustave Dor, nach Juliusz Korczak, er
illustrierte den Pan Tadeusz. Schon damals bemerkte
Dygasinski in den unscheinbaren Skizzen seines
Zöglings malerisches Talent. Im August 1871 fuhr
Jacek Malczewski mit Einverständnis des Vaters
nach Krakau und wurde Schüler des St.Jacek-
Gymnasiums. Er zeichnete sich durch gute Kenntnis
der klassischen Sprachen aus und gewann die Sym-
pathie seiner Kameraden, indem er ihnen Livius
übersetzte. Weiterhin wurde der Junge von Adolf
Dygasinski betreut, bei dem er wohnte. Als Gasthör-
er besuchte er die Akademie der Schönen Künste,
skizzierte Akte vom Modell und von Gipskopien
 
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