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Günther, Hubertus
Das Studium der antiken Architektur in den Zeichnungen der Hochrenaissance — Tübingen, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.8812#0145
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seine lebens daten und bildung

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inzwischen aufgegeben21. Vielleicht sollte Gian Cristo-
foro von Anfang an auch mit architektonischen Aufgaben
betraut werden. 1507 hatte der Papst bereits weitge-
spannte Pläne zur Erneuerung von S. Maria di Loreto
gefaßt und Bramante zum entwerfenden Architekten be-
stellt22. Am 11. Juni 1509 wurde Antonio di Pellegrino
für die Anfertigung von Bramantes Modell entlohnt; die
Auszahlung des Lohnes erfolgte über Gian Cristoforo
Romano. 1510, als die Arbeiten begannen, übersiedelte
Gian Cristoforo Romano nach Loreto. Im folgenden Jahr
wurde er offiziell zum Leiter der Arbeiten in Loreto
ernannt23. Er wird von nun an Architekt genannt24. In
Loreto ist er am 31. Mai 1512 gestorben.

Es ist bekannt, daß Gian Cristoforo Romano gut mit
der antiken Plastik vertraut war. Davon zeugt seine Betä-
tigung im Kunsthandel. Sie reicht in seine früheste Ju-
gend zurück, setzte sich im Dienst der Isabella d'Este fort
und führte ihn bis nach Rhodos. Kaum daß sich Gian
Cristoforo Romano bei seiner Rückkehr in Rom dem
Papst präsentiert hatte, zog es ihn, wie er Isabella d'Este
schrieb25, die Antiken wiederzusehen und zu prüfen, was
neu gefunden worden war. Er trug eine eigene Sammlung
von Medaillen und Gemmen zusammen26. Seine Kenner-
schaft wurde in Mantua wie in Rom geschätzt. Isabella
d'Este lehnte den Ankauf einer Büste ab, weil er und
Mantegna sie für eine schlechte Fälschung hielten27. Auf
seinen Rat hin kaufte 1509 der Sohn des ehemaligen
mantuaner Botschafters in Venedig einen Kameo28. Gian
Cristoforo Romano gehörte zu den Persönlichkeiten, die

21 Weiss 1965, 175 s., 180 s.

22 Vogel 1859,238-247. Gianuizzi 1884. Bruschi 1969,960-979. Weil-
Garris 1974. Dies. 1977, 12-18.

23 Weil-Garris 1977, Dok. 1317. Brief des Gian Cristoforo Romano
an Pietro Bembo vom 17.XII. 1510. Venturi 1888, 154 Anm.2.
Recanati, Arch. Communale, lib. delle Riformazioni del Consiglio
1511, 25. VI., 53s. Op.cit., 157 Anm. 1.

24 Loc. cit., Anm. 1 und 6.

25 Brief vom 1. XII. 1505. Op.cit., 148 Anm. 1.

26 „testamentum discreti et praestantissimi viri m. Joh. Christoph.
M. Ysaiae de Pisis sculptoris Romani - fundat in capella del
crucifixo in eccl. Lauret. in qua sepulturam eligit, officiaturam 3
missarum per hebdomadam in eadem - Heredem scripsit Hospitale
S. Luciae - notario legavit: gli Asolani de messer Pietro Bembo -
avea medaglie 34 de bronzo, 87 d'argento, camei Cupido, Pallas,
Cleopatra, Marte etc." 30. IV. 1512 Abschrift von J. A. Vogel nach
einem verlorenen Dokument des Archivs der Santa Casa di Loreto.
Venturi 1888, 157 Anm. 6.

27 Brief der Isabella d'Este an Gio. Gonzaga vom 28. III. 1505. Man-
tua, Arch. Gonzaga, Busta 2994, Copialettere di Isabella d'Este,
lib. 17, 78 r. Venturi 1888, 108 Anm. 5.

28 CM. Brown, „Lo insaciabile desiderio nostro de cose antique":
New documents on Isabella d'Este's collection of antiquities. In:
Cultural aspects of the Italian Renaissance. Essays in honour of Paul
Oskar Kristeller. Ed. C. H. Clough. New York 1976, 334.

gerufen wurden, als 1506 die Laokoongruppe ans Licht
kam, die Plinius erwähnt29. Er und Michelangelo machten
darauf aufmerksam, daß sie nicht wirklich aus einem Mar-
morblock gehauen ist, wie Plinius will, sondern aus vier
Teilen zusammengefügt ist, die aber so kunstvoll verbun-
den sind, daß nur versierte Fachleute die Fugen erkennen
können.

Mehr ist über die Antikenkenntnis des Gian Cristoforo
Romano bisher nicht bekannt. Man hat nichts davon
gewußt, daß er sich mit der antiken Architektur beschäf-
tigt hat. Aber das Studium der antiken Architektur wurde
auch von bildenden Künstlern betrieben. Das lehren die
Beispiele des Riniero da Pisa oder Falconettos, der Codex
Escurialensis aus der Ghirlandaio-Werkstatt (1492) und
die exakten Darstellungen antiker Monumente in den
römischen Fresken Botticellis und Pinturicchios. Solche
Studien passen auch gut zu dem Bild, das man sich von
der Persönlichkeit des Gian Cristoforo machen kann.

Gian Cristoforo Romano repräsentiert den Typ des
vielseitig interessierten und begabten Künstlers, dessen
Wirken über den Bereich seines Handwerkes beträchtlich
hinausreichte. Er beschäftigte sich mit Musik und Dich-
tung30. Seine Briefe an Isabella d'Este zeichnen sich von
Anfang der Korrespondenz an durch ihren geschliffenen
Stil aus31; der Bericht von den Abenteuern einer geheimen
Ehe, den er an Pietro Bembo richtete, ist ein wahres
Kabinettstück witziger Erzählkunst im Geist Boccac-
cios32. Er beherrschte die lateinische Sprache und war so
sehr in ihr gewandt, daß er sich gegenüber Isabella d'Este
erlauben durfte, sein Urteil über lateinische Dichtungen
abzugeben33. Als der Mantuaner Humanist Mario Equi-

29 „Questa statua, che insieme co' figliuoli, Plinio dice esser tutta
d'un pezzo, Giovannangelo romano e Michel Cristofano fiorentino
(sie), che sono i primi scultori di Roma, negano ch'ella sia d'un
sol marmo, e mostrano circa a quattro commettiture, ma congiunte
in luogo tanto nascoso e tanto bene saldate e ristuccate, che non
si possono conoscere facilmente se non da persone peritissime di
quest' arte". Brief des Cesare Trivulzio in Rom an Pomponio
Trivulzio in Mailand vom 1. VI. 1506. Bottari III, 475 (Nr. 196).
M. Winner, Zum Nachleben des Laokoon in der Renaissance. In:
Jahrbuch der Berliner Museen, XVI, 1974, 99.

30 Als Musiker erwähnt im Brief des Marchesino Stanga an Isabella
d'Este vom 18. X. 1491 und von Sabba da Castiglione. Anm. 5,
9. Ein Gedicht von Gian Cristoforo Romano publiziert von G.
Achillino, Collettanee greche, latine et vulgari per diversi autori
moderni nella morte de l'ardente Seraphino Aquilano. Bologna
1514, K 4v. Fabriczy 1888, 107.

31 „brillant letter-writer" urteilt J. M. Cartwright Ady, Baldassare
Castiglione, the perfect courtier. His life and letters 1478-1529. New
York 1908 I, 324.

32 17. XII. 1510. Venturi 1888, 154 Anm.2.

33 „io lo solicito per mandarvi qualche cose dele sue compositioni e
latine e vulgari per che in vero a mi pareno molto bene" (über
Marcant. della Torre, den berühmten Arzt und Astronom, der
 
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