ANLAUF ZU EINER SELBSTBIOGRAPHIE
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ANLAUF ZU EINER SELBSTBIOGRAPHIE
Von Herbert Eulenberg
Wenn ich fünfzig Jahre alt geworden sein werde, will ich anfangen,
mein Leben selbst zu beschreiben. Nicht früher. Auch werde ich es nicht
in Prosa aufsetzen gleich jenem berühmten Florentiner Goldschmied
Benvenuto Cellini, dessen vita uns Goethe so klar und gestochen über-.
setzt hat. Nein! Wie ich schon von seinem Rat abweiche, den er
uns zu Beginn seines Buches gibt, etwa im Alter von vierzig Jahren
zu dem schönen Unternehmen zu schreiten, seinen Lebenslauf zu er-
zählen, so will ich mich auch einer ganz andern Form wie er und die
meisten Autobiographen bedienen. Ich möchte das Leben, das ich
genossen und erlitten habe, nachdichten und in Verse ziehen. Möchte
Lust und Kummer meines Daseins überwinden, indem ich sie wie
fremde, vergangene Taten und Leiden besinge. Man macht sich
selber zum Helden, wenn man sich und seine Vergangenheit beschreibt,
einerlei ob man gut mit sich umgeht oder sich mit ganzer Wahrheit
und Offenheit zu Leibe rückt. Intus et in acta. Ins Inwendige und
in die Haut, wie Jean Jaques seinen „Bekenntnissen“ als Motto voran-
stellte. Ach! Man gerät trotz der herbesten und ernsthaftesten Vor-
sätze, die nackte Wahrheit und „nichts als die Wahrheit“ über sich zu
enthüllen, immer ein wenig ins Dichten hinein. Selbst Rousseau, der
Unbestechliche, macht davon keine Ausnahme. Schon darin, wie er
die Farben in seinem Lebensgemälde und seine Zuneigungen verteilt,
ist er nicht ganz streng objektiv. Besonders nicht gegen den Schluß
seines Buches, das gleichwohl stets zu den lesenswertesten Büchern der
Ourlitt-Almanach.
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ANLAUF ZU EINER SELBSTBIOGRAPHIE
Von Herbert Eulenberg
Wenn ich fünfzig Jahre alt geworden sein werde, will ich anfangen,
mein Leben selbst zu beschreiben. Nicht früher. Auch werde ich es nicht
in Prosa aufsetzen gleich jenem berühmten Florentiner Goldschmied
Benvenuto Cellini, dessen vita uns Goethe so klar und gestochen über-.
setzt hat. Nein! Wie ich schon von seinem Rat abweiche, den er
uns zu Beginn seines Buches gibt, etwa im Alter von vierzig Jahren
zu dem schönen Unternehmen zu schreiten, seinen Lebenslauf zu er-
zählen, so will ich mich auch einer ganz andern Form wie er und die
meisten Autobiographen bedienen. Ich möchte das Leben, das ich
genossen und erlitten habe, nachdichten und in Verse ziehen. Möchte
Lust und Kummer meines Daseins überwinden, indem ich sie wie
fremde, vergangene Taten und Leiden besinge. Man macht sich
selber zum Helden, wenn man sich und seine Vergangenheit beschreibt,
einerlei ob man gut mit sich umgeht oder sich mit ganzer Wahrheit
und Offenheit zu Leibe rückt. Intus et in acta. Ins Inwendige und
in die Haut, wie Jean Jaques seinen „Bekenntnissen“ als Motto voran-
stellte. Ach! Man gerät trotz der herbesten und ernsthaftesten Vor-
sätze, die nackte Wahrheit und „nichts als die Wahrheit“ über sich zu
enthüllen, immer ein wenig ins Dichten hinein. Selbst Rousseau, der
Unbestechliche, macht davon keine Ausnahme. Schon darin, wie er
die Farben in seinem Lebensgemälde und seine Zuneigungen verteilt,
ist er nicht ganz streng objektiv. Besonders nicht gegen den Schluß
seines Buches, das gleichwohl stets zu den lesenswertesten Büchern der
Ourlitt-Almanach.
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