LEIBL ALS GRAPHIKER
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Leibis. Wir haben das nur vergessen, weil sein Ruhm auf diesem
Gebiet durch den Ruhm von Stauffer-Bem und dann besonders von
Max Klinger überschattet wurde. Aber die Zeit scheint nicht mehr
fern, wo nicht nur die Sammler, sondern auch das größere Kunst-
publikum die bewegte Lebendigkeit und die unerschöpfliche Tiefe
der Leiblschen Radierkunst den technisch vollendeteren aber vielleicht
doch zu vollendeten und zu durchschaubaren Geschöpfen Stauffer-
Bem vorziehen wird. Denn nach Stauffer-Bem kamen doch Jahn und
Richard Müller. Nach Leibi aber kam, wenn auch in loserem Zu-
sammenhang und in absoluter Selbständigkeit, Max Liebermann und
eine neue Blüte deutscher Graphik. Und als Liebermann im Jahre 1880
nach München zog, wollte er Leibi sehen. Das heißt, er wollte Form
lernen.
Leibis Radierungen sind nicht sehr zahlreich. Es gibt keine
zwanzig, und von diesen zwanzig hat er bei einigen, die ihm offenbar
nicht genügten, die Platten abgeschliffen, so daß nur ganz wenig Ab-
züge erhalten sind. Da dieses anderthalbe Dutzend graphischer
Arbeiten, soweit wir wissen, in der ersten Hälfte der siebziger Jahre
entstanden ist, und Leibi in späteren Jahren die Radiernadel nicht
mehr zur Hand genommen hat, muß man diese ganze Tätigkeit des
Malerradierers als eine Episode ansehen. Aber Episoden, wenn sie
einem Reichtum und nicht einer Verlegenheit ihr Dasein verdanken,
können etwas besonders Kostbares haben. Und so war es bei Leibi.
Jene Jahre bedeuten ja einen Höhepunkt seines Schaffens. Er kam
aus Paris zurück, wo er herrliche Anregungen erlebt und den jungen
Ruhm eines großen Meisters genossen hatte. Er machte eine Reihe
unsterblicher Meisterwerke in diesen ersten Münchener Jahren nach
dem Kriege, er fand seinen Stil der Malerei, diesen Stil der ganz einzig
in der Kunst dastehenden Vereinigung von unerhörter Formenstärke
mit malerischer Weichheit, mit flüssigem Vortrag und flimmernder
Atmosphäre. Nun hatte er sich gefunden, er wußte, auf was es für
Qurlitt-Almanach.
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Leibis. Wir haben das nur vergessen, weil sein Ruhm auf diesem
Gebiet durch den Ruhm von Stauffer-Bem und dann besonders von
Max Klinger überschattet wurde. Aber die Zeit scheint nicht mehr
fern, wo nicht nur die Sammler, sondern auch das größere Kunst-
publikum die bewegte Lebendigkeit und die unerschöpfliche Tiefe
der Leiblschen Radierkunst den technisch vollendeteren aber vielleicht
doch zu vollendeten und zu durchschaubaren Geschöpfen Stauffer-
Bem vorziehen wird. Denn nach Stauffer-Bem kamen doch Jahn und
Richard Müller. Nach Leibi aber kam, wenn auch in loserem Zu-
sammenhang und in absoluter Selbständigkeit, Max Liebermann und
eine neue Blüte deutscher Graphik. Und als Liebermann im Jahre 1880
nach München zog, wollte er Leibi sehen. Das heißt, er wollte Form
lernen.
Leibis Radierungen sind nicht sehr zahlreich. Es gibt keine
zwanzig, und von diesen zwanzig hat er bei einigen, die ihm offenbar
nicht genügten, die Platten abgeschliffen, so daß nur ganz wenig Ab-
züge erhalten sind. Da dieses anderthalbe Dutzend graphischer
Arbeiten, soweit wir wissen, in der ersten Hälfte der siebziger Jahre
entstanden ist, und Leibi in späteren Jahren die Radiernadel nicht
mehr zur Hand genommen hat, muß man diese ganze Tätigkeit des
Malerradierers als eine Episode ansehen. Aber Episoden, wenn sie
einem Reichtum und nicht einer Verlegenheit ihr Dasein verdanken,
können etwas besonders Kostbares haben. Und so war es bei Leibi.
Jene Jahre bedeuten ja einen Höhepunkt seines Schaffens. Er kam
aus Paris zurück, wo er herrliche Anregungen erlebt und den jungen
Ruhm eines großen Meisters genossen hatte. Er machte eine Reihe
unsterblicher Meisterwerke in diesen ersten Münchener Jahren nach
dem Kriege, er fand seinen Stil der Malerei, diesen Stil der ganz einzig
in der Kunst dastehenden Vereinigung von unerhörter Formenstärke
mit malerischer Weichheit, mit flüssigem Vortrag und flimmernder
Atmosphäre. Nun hatte er sich gefunden, er wußte, auf was es für
Qurlitt-Almanach.
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