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LEIBL ALS GRAPHIKER
ihn und für seine Anschauung von der malerischen Menschennatur
künftig ankommen konnte, er brauchte München nicht mehr und ging
auf die Dörfer, und in jener ersten Einsamkeit in Grasslfing schuf er
die kleine Reihe seiner schönsten Werke, die „Bäuerinnen im Wirts-
haus“, die „Bäuerin mit dem Kinde“, kurz, jene Meisterwerke seiner
Kunst, die heute in der Nationalgalerie in Berlin hängen. So frisch
und so lebendig wie damals strömten die inneren Quellen seiner Kunst
nie wieder, so anschauungsfreudig, so glücklich im Zugriff wi$ damals
war er dann fast zwei Jahrzehnte nicht mehr. Gewiß hat er später
gelegentlich Bedeutenderes gemalt, Lebendigeres aber wohl nicht. Vom
Ende der siebziger bis gegen die Mitte der neunziger Jahre lebte er
von dem Kapital des damals aufgehäuften Glückes. Er hatte in der
Grasslfinger und Schöndorfer Zeit, um 1875 herum, so unendlich viel
Schönes und Neues über den Menschen zu sagen, daß ihm Farbe und
Pinsel allein nicht genügten. Er mußte, in dem Glücksgefühl seiner
Entdeckungen und Erlebnisse, auch die Schwarz-Weiß-Kunst der
Radiernadel zu Hilfe nehmen, um alles das an Herrlichkeit auszu-
drücken, was er empfand. Diese merkwürdige Schönheit des Menschen,
der dasteht in vollster Plastik und der umflossen ist bis ins letzte von
weicher Luft und Atmosphäre, die wollte er nun auch ohne die Hilfe
von Farbe malerisch wiedergeben. Stahlhart und lebendig, diese
Gegensätze wollte er bezwingen. Die Seele war ohnehin dabei, sagte
er, wenn er uns den Menschen so wiedergab, wie er war.
Die Haltung seiner meisten Radierungen ist dunkel. Aus tiefem
Schwarz holt er den hellen Ton herauf mit starken Gegensätzen von
Licht und Schatten. Er will das Fleisch zum Leuchten bringen und
setzt es vor dunklen Grund und umgibt es mit dunklen Gewand-
partien. Zwischentöne sind nicht sehr reich im Beiwerk, und die
Schatten wirken manchmal etwas undurchsichtig. Er konzentriert die
Mitteltöne auf die Modellierung von Kopf und Händen, weil hier
allein nach seiner Meinung der Charakter liegt. Er legt eine Form
LEIBL ALS GRAPHIKER
ihn und für seine Anschauung von der malerischen Menschennatur
künftig ankommen konnte, er brauchte München nicht mehr und ging
auf die Dörfer, und in jener ersten Einsamkeit in Grasslfing schuf er
die kleine Reihe seiner schönsten Werke, die „Bäuerinnen im Wirts-
haus“, die „Bäuerin mit dem Kinde“, kurz, jene Meisterwerke seiner
Kunst, die heute in der Nationalgalerie in Berlin hängen. So frisch
und so lebendig wie damals strömten die inneren Quellen seiner Kunst
nie wieder, so anschauungsfreudig, so glücklich im Zugriff wi$ damals
war er dann fast zwei Jahrzehnte nicht mehr. Gewiß hat er später
gelegentlich Bedeutenderes gemalt, Lebendigeres aber wohl nicht. Vom
Ende der siebziger bis gegen die Mitte der neunziger Jahre lebte er
von dem Kapital des damals aufgehäuften Glückes. Er hatte in der
Grasslfinger und Schöndorfer Zeit, um 1875 herum, so unendlich viel
Schönes und Neues über den Menschen zu sagen, daß ihm Farbe und
Pinsel allein nicht genügten. Er mußte, in dem Glücksgefühl seiner
Entdeckungen und Erlebnisse, auch die Schwarz-Weiß-Kunst der
Radiernadel zu Hilfe nehmen, um alles das an Herrlichkeit auszu-
drücken, was er empfand. Diese merkwürdige Schönheit des Menschen,
der dasteht in vollster Plastik und der umflossen ist bis ins letzte von
weicher Luft und Atmosphäre, die wollte er nun auch ohne die Hilfe
von Farbe malerisch wiedergeben. Stahlhart und lebendig, diese
Gegensätze wollte er bezwingen. Die Seele war ohnehin dabei, sagte
er, wenn er uns den Menschen so wiedergab, wie er war.
Die Haltung seiner meisten Radierungen ist dunkel. Aus tiefem
Schwarz holt er den hellen Ton herauf mit starken Gegensätzen von
Licht und Schatten. Er will das Fleisch zum Leuchten bringen und
setzt es vor dunklen Grund und umgibt es mit dunklen Gewand-
partien. Zwischentöne sind nicht sehr reich im Beiwerk, und die
Schatten wirken manchmal etwas undurchsichtig. Er konzentriert die
Mitteltöne auf die Modellierung von Kopf und Händen, weil hier
allein nach seiner Meinung der Charakter liegt. Er legt eine Form