Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verlag Fritz Gurlitt (Berlin) [Contr.]
Almanach auf das Jahr ... — 1919

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/gurlitt_almanach1919/0066

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
52

LEIBL ALS GRAPHIKER

der scharf auf den Charakter des Darzustellenden gespannte Blick des
Künstlers. Um mit dieser sinnlich so empfindlichen Technik nur
äußerlich zu brillieren, dazu war einmal die Technik nicht reif genug
— und sie ist in Nebendingen manchmal etwas ungeschickt —, dazu
war aber vor allen Dingen Leibi zu sachlich und zu ernst. Er empfing
immer, wie Schiller sagt, vom Objekt sein Gesetz. Die äußerliche
Bravour, durch die er gelegentlich einmal in späten Federzeichnungen
überrascht, findet man in den Radierungen nie. Er war damals zu
frisch und zu stark in seinem Naturgefühl. „Und durchs Auge zieht
die Kühle sänftigend ins Herz hinein.“ Wenn Leibi in dieser Zeit
des Glücks sinnlich und streng war in einem harmonischen Gleich-
gewicht dieser Empfindungen wie sonst nie wieder — von seinen
letzten Lebensjahren abgesehen —, gerade diese Radierungen zeigen
es, und aus diesem Grunde bedeutet diese Episode eine wundervolle
Bereicherung seiner Kunst. In einigen dieser Blätter hat er ein paar
Charaktere niedergeschrieben, die zum Unvergleichlichsten aus dem
gesamten Umkreise seines Schaffens überhaupt gehören. Und wenn
Leibi, der Maler, sich über seine Erlebnisse vor der Landschaft fast
vollkommen aus geschwiegen hat, in einigen seiner Radierungen äußert
er sich als großer Meister der Stimmungslandschaft. Vielleicht reichten
die technischen Mittel hierzu nicht vollkommen hin. Aber das Gefühl,
mit dem er die Bäume mit ihrem Reichtum feinster Formen vor dem
hellen Abendhimmel aufsteigen läßt, deutlich bis ins letzte und zugleich
geheimnisvoll als Erscheinung, das steht höher als kalte Einwendungen,
weil er hier eine Saite in seiner Empfindung schwingen läßt, die in
ihm, dem großen Menschendarsteller, sonst stumm geblieben wäre. —
Weshalb Leibi diese Radierversuche so bald wieder ruhen ließ,
entzieht sich unserer Kenntnis. Vielleicht fehlte es damals an dem
künstlerischen Echo, und man kann sich denken, daß das damalige
Kunstpublikum mit diesen Dingen nicht viel anzufangen wußte. Die
starke dekorative Wirkung, die man damals verlangte, lassen diese
 
Annotationen