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Verlag Fritz Gurlitt (Berlin) [Contr.]
Almanach auf das Jahr ... — 1919

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VERLAG FRITZ GURLITT / BERLIN W55

Kunstgelehrte und Kunstforscher auf den weiten Gebieten der Kunst
schürfen in eben unseren Tagen mit Hilfe von ganz neuen
Methoden nach unbekannten und ungeahnten, vielleicht noch nie’
mals ans Licht getauchten und von jeher versunken gewesenen Be =
Ziehungen innerhalb der verschiedensten Künste. Was just in unserer
Gegenwart an unerhört anmutenden verborgensten und geheimsten Zu*
sammenhängen zu Tage gefördert wird, das mag keiner freudiger be-
grüßen als der Künstler selbst. Aber wußte nicht gerade der Künstler
selber aus allen Uranfängen her bereits um diese durch die Kunst’
Wissenschaft seit jüngstem erst entschleierten und enthüllten Dinge wie
um ein tiefstes Geheimnis, das er freilich in Worten nicht auszudrücken
vermochte, weil ihm diese irgendwie entfallen waren? Zumindest mußte
es in ihm unbewußt vorhanden und ja sogar auf irgend eine Weise
herrschend sein. Nur kann es natürlich nicht einmal jedes hundertsten
Künstlers besondere Aufgabe oder Befähigung genannt werden, über wie
spielende Kongruenzen seines eigenen Faches mit den soundsoviel anderen
Sparten der Kunst intensiver nachzudenken und Systeme wie träumerisch
aufzubauen und Synthesen nachzuhängen oder nun gar die Feder einzu»
tauchen und sich in vergleichenden historisch’ästhetischen Abhandlungen
zu ergehen. Solches streift man wohl in Selbstgesprächen; berührt es in
flüchtig hingeredeten Dialogen; oder findet man in Künstlerbriefen an»
gedeutet. Aber soviel darf als sicher gelten: Was die Gelehrten als soeben
letzte Ergebnisse ihrer Wissenschaft feiern, war dem Künstler zumindest
ohnbewußt und außerhalb der greifbaren Gegenwart und wie unter der
Schwelle seines Bewußtseins gelagert und angehäuft; und er verspürte es,
so wie Antäos die ihn nährende Kraft der Erde verspüren mußte. Sonst
würden die Forscher und Kundigen und Entdecker und x\ufdecker ja
auch von vornherein unrecht mit allem haben!
Wollen wir, während Kunstgelehrte ganze Kunstepochen entschleiern,
als durchaus simples Beispiel ein wenig dabei verweilen, was ein talentierter
und strebender Maler bei der Lektüre eines wertvolleren, künstlerisch
bedeutsameren als nur etwa unterhaltenden oder amüsierenden Buches
denkt, fühlt und erschaut. Will ihn da nicht etwas wie auf verwandt
stimmen und ihn so harmonisch einstellen wie einen Liederkomponisten
ein schönes lyrisches Gedicht? Und so wird es dem Bildhauer mit einem
Drama ergehen und dem Romancier auch umgekehrt womöglich vor einer
Ölmalerei. Im Anschauen eines Kunstwerks, wofern der Betrachtende

II
 
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