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Verlag Fritz Gurlitt (Berlin) [Contr.]
Almanach auf das Jahr ... — 1920

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NÄCHTE

63

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Von Hans Bethge
Die Nacht war blau und mild, in silbernem Dunste hing der
Mond. Wir lagen unter alten Akazienbäumen, die mit weißen Blüten-
trauben bedeckt waren: ein paar junge Leute, ein paar Mädchen,
alle in Kostümen des achtzehnten Jahrhunderts. Ein Fest war
gefeiert worden. Die meisten waren schon heimgefahren, nun
lagen wir wenigen noch da, die letzten vom Fest, und blickten
müde in die laue Luft. An mich gelehnt lag ein Mädchen in gelber
Seide, es war eine Kurtisane, Mathilde mit Namen, ihr Kleid war
ausgeschnitten, an ihren jungen Schultern hing ein Glanz. Die
Luft war berauschend, es roch nach Wein und Frühling, in den
Bäumen regten sich die ersten Vögel schon.
Plötzlich hörten wir ein Surren in der Luft, es kam näher,
wir sahen erstaunt hinauf: ein Luftschiff fuhr über uns fort, riesen-
haft und seltsam. Da lagen wir halbtrunken in den Seidenkleidern
eines verrauschten Jahrhunderts, und die Phantastik des Augen-
blicks trat uns überwältigend in das Bewußtsein. Wir rissen die
Augen auf und starrten verwirrt nach oben, wo das Ungetüm durch
die weißschimmernden Blüten der Akazien stürmte, bunte Lichter
an Bord. Jemand nahm eine Sektflasche, trank den Rest und
schleuderte sie gegen einen Akazienstamm, daß sie zerschellte.
Ein anderer nahm die Laute und griff wild hinein. Ein Paar er-
hob sich und fing zu tanzen an, — bald fielen sie hin vor Müdig-
keit, umarmt blieben sie liegen, mit leisem Lachen. Niemand sagte
 
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