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Habich, Georg
Die Medaillen der italienischen Renaissance — Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.68789#0118
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XVI. NEUE ANSCHAUUNG IM
i 6. JAHRHUNDERT

Der Übergang von der Frührenaissance zum Cinquecento bereitet sich in der Medaillen-
kunst bereits in den letzten zwei Jahrzehnten des Quattrocento vor, während Ausläufer der
alten Kunstweise, wie wir an Sangallo sahen, sich noch tief in das neue Jahrhundert hinein
erstrecken. Schon Caradosso steht im Übergang. Bei ihm sowohl wie bei den Mantuaner
Goldschmied-Medailleuren fanden wir einzelne Elemente der neuen Kunstform schon völlig
ausgebildet.
War die alte Monumentalmedaille des Quattrocento erfüllt von jener virtü, die das Ideal
des Jahrhunderts ausmachte, so tritt an Stelle dieser elementar sich auswirkenden Kraft im
Cinquecento ein neues Ideal, nämlich die im »Cortegiano« so fein umschriebene grazia, die
Anmut, die aus der Lässigkeit entspringt, und dieses höfisch verfeinerte Element bildet in der
Folge ein weibliches Korrelat zu der rauhen Tugend derVergangenheit.?^ Die neue Lebensform
bewährt im Porträt ihre bildende Kraft. Die elegante Haltung wird betont, wobei sich übrigens
die von Neapel her importierte spanische Grandezza ebenso bemerkbar macht wie die chevale-
reske Geste der Franzosen, die mit Franzi, in Italien Eingang undNachahmung fand. Im Me-
daillenporträt löst sich die starre Linie, schwindet die gehaltene Gravität und macht einer
weichen SchwingungPlatz. Die abweisende Reserve der fürstlichen Herren wird ersetzt durch
die grosse Attitüde. Mit fortschreitendem Verfall wird dann der Held zum Theaterhelden, und
die Gentildonna stellt ihre Reize zur Schau, der grossen Kurtisane zum Trotz. Die schlicht
ausgeschnittene Silhouette von früher wird zur heroischen Büste aufgedonnert — selbst der
Sockel fehlt nicht —, der Umriss wird bizarr, und ein unleidlich gezierter Manierismus gibt
Haltung und Bewegung an. Der Gesichtsausdruck belebt sich, aber die Stilgrenze, die der
Medaille gezogen ist, wird überschritten, wenn die physiognomische Belebung sich bis zum
Mienenspiel steigert. Hand in Hand mit derWertlegung aufs Äusserliche geht die Bereicherung
des Kostüms mit Zierat und Schmuck. Man macht Toilette. Die Fläche soll um jeden Preis
belebt werden, man verwendet Perlenschnüre und reiches Gehänge; der Prunkharnisch wird
obligat. Hier kommt der Goldschmied auf seine Rechnung.
Auf der Kehrseite liebt man die stark gefüllte Komposition. Der Hintergrund wird aufs
reichste mit Landschaftsmotiven dekoriert. Neben der mythologisch staffierten paysage intime
ist es besonders das bewegte Meer, das man — in schimmerndem Metall ein dankbares Motiv —
darzustellen liebt, und diese landschaftliche Kunst im kleinen wetteifert mit der Malerei bis
zum Eindruck des Farbigen. Die Technik verfeinert sich zu immer grösserem Raffinement.
Edelmetall wird der schlichten Bronze dem Effekt zuliebe vorgezogen, man operiert mit den

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