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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0096
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5. HEILIGENBILDER

Isolierte Darstellungen von Heiligen
Die Ikonen mit Heiligendarstellungen als Halbfigur sind in der frühen toskanischen Malerei sehr selten.
Das erste Bild dieser Art ist das eben erwähnte Fresko des hl. Martin in S. Ponziano zu Lucca (Abb. 111;
0,86 x 0,98 m; 12. Jh.)1. Tafelbilder mit halbfigurigen Glaubenszeugen sind jedoch weder aus der luc-
cesischen noch aus der pisanischen Schule erhalten, sondern begegnen erst in Florenz seit dem dritten
Viertel des 13. Jh«. Im Gegensatz zu den zahlreichen Halbbildern der Muttergottes, die auch um diese
Zeit dort einsetzen, sind nur zwei Beispiele bekannt geworden, eine Tafel des Evangelisten Johannes
(Abb. 112; Garr. 154; Florenz, Privatsammlung; 0,47 x 0,38 m) und eine Prozessionsikone der hl. Agathe
in der Florentiner Domopera (Abb. 113; Garr. 608a; 0,70 x 0,48 m), auf deren Rückseite eine Darstellung
der gleichen Heiligen aus dem 14. Jh. angeordnet ist2. Selbst noch im Trecento bleiben die im Poly-
ptychonverband so häufigen Halbstücke von Heiligen als Einzelbilder selten3.
Die Funktionsbestimmung des vorliegenden Typus stößt, durch die Verwandtschaft mit den Marien-
ikonen, denen er, wie aus dem Freskobeispiel in S. Ponziano zu Lucca ersichtlich ist, in der Aufstellung
gleicht, auf keine besonderen Schwierigkeiten. Sein Bereich sind die Oratorien, Andachtswinkel und der
private Gebrauch in Bürgerhäusern. Wie für die halbfigurigen Marienbilder ist die normale Funktions-
weise die Aufstellung auf dem Seiten- oder Kapellenaltar. Dies zeigt noch ein Fresko des Gaddi-Kreises
in der Castellanikapelle in S. Croce zu Florenz, auf dem eine Ikone des hl. Nikolaus den Altar eines ihm
geweihten Oratoriums (Abb. 114)3a schmückt. Eine besondere Eignung besitzen die halbfigurigen Heili-
genbilder durch die leichte Transportierbarkeit für die Mitführung in Prozessionen, die an den Festtagen
von Patronen durchgeführt wurden. Direkt für einen solchen Zweck geschaffen ist die Tafel der in Florenz
als „Awocata contro il fuoco“ verehrten, frühchristlichen Märtyrerin S. Agata, die höchstwahrschein-
lich aus dem gleichnamigen Nonnenkonvent stammt. Am Tage ihres Festes (5. Februar) zog die von
Richa4 überliefeite Prozession mit dem Bilde zu den Plätzen der alten vier Stadttore.
Die älteste ganzfigurige Heiligenikone ist in Mittelitalien die im Dom zu Barga erhaltene weit überlebens-
große Statue des hl. Christophorus (Abb. 110; 12. Jh.)5.
Auf den erst im Dugento einsetzenden Tafelikonen ist im 13. Jh. die Wiedergabe des hl. Franz die weitaus
häufigste. Die erste Darstellung dieses Heiligen ist jedoch noch nicht auf eine Holzpala gemalt, sondern
begegnet, wenn auch bereits mit tafelbildähnlichem Rahmenstreifen, als Fresko in der Capp. di S. Gre-
gorio des Sacro Speco zu Subiaco (Abb. 115). Das Fehlen des Nimbus und ein Besuch des hl. Franz in
diesem Kloster im Jahre 1218 ermöglichen die Datierung zwischen dem zuletzt genannten Zeitpunkt und
der 1228 erfolgten Kanonisation, wahrscheinlich noch vor 1224, da die Stigmata nicht dargestellt sind6.
Das erste Tafelbild ist die von Offner7 im Magazin des Louvre entdeckte Pala (Abb. 116; 0,95 x 0,29 m),
die er wegen der auffälligen stilistischen Verwandtschaft mit dem Fresko in Subiaco dem römischen
Kunstkreis zuschreibt und in die Zeit kurz vor 1235 datiert. Die nächstfolgenden Stücke jedoch, die
hauptsächlich zwischen 1260 und 1290 auftreten, entstehen alle in Arezzo oder in Umbrien und sind zum
weitaus größten Teil Erzeugnisse der Werkstatt von Margarito d’Arezzo, der auch in Rom die in
S. Francesco a Ripa erhaltene Ikone angehört (Abb. 117; Garr. 58; 1,29 X 0,52 m)8. Auf der Louvretafel
ist schon der mit dem Vorzeigen der rechten Hand ausdrücklich verbundene Hinweis auf die Stigmata
zu beobachten, der ebenso bei vielen Bildern von Margarito wiederholt wird.
Die Darstellung der Wundmale geschieht als bewußte Widerlegung der Zweifel gegen das Wunder der
Stigmatisation, die schon an einigen Orten zu Verboten oder der Entfernung der Stigmatamerkmale
geführt hatten, was aber 1237 von Gregor IX. auf das energischste zurückgewiesen wurde9. Zeitlich fast
unmittelbar auf die durch die Autorität des Papstes getroffene Entscheidung folgend, wird der Vorgang
der Stigmatisation bei der florentinischen Tafel in den Uffizien (Abb. 140; Garr. 158; 0,81x0,51 m)
sogar zum selbständigen Bildgegenstand gemacht, womit in der toskanischen Ikonenmalerei zum ersten-
mal eine Szene als alleiniges Thema die Fläche eines Tafelbildes für sich beansprucht.
Neben den Darstellungen des die Wundmale weisenden Franziskus gibt es eine zweite, jedoch seltenere
Form, bei der er mit der Rechten ein Handkreuz voz- der Brust hält. So finden wir ihn auf der Tafel im
Museum der Kirche S. Maria degli Angeli zu Assisi, die ihm zu seinen Lebzeiten als Bett diente, und sich

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