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Hager, Hellmut
Die Anfänge des italienischen Altarbildes: Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte des toskanischen Hochaltarretabels — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 17: München: Schroll, 1962

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https://doi.org/10.11588/diglit.48329#0124
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Beinahe mit dem Datum der Besitzergreifung des Hochaltars durch den zum Aufsatz gewandelten
Paliotto taucht schon in Pisa eine diesem Zweck entsprechende Tafelbildform auf. Sie entsteht in einer
Stadt, die an der Antependienentwicklung unbeteiligt ist und in den Vitapalen des hl. Franz bereits über
einen spezifischen Retabeltyp verfügt. Unter Mitverschmelzung der noch aus der Architektur und Fresko-
dekoration hinzutretenden Anregungen wird hier, nach kurzem Experimentieren, in SS. Eufrasia e
Barbara um 1260 das Flachdossale hervorgebracht, das nur noch insofern der Frontalienüberlieferung
angehört, als es über die von ihr in die Konvention geschlagene Bresche vordringt und die Funktion
übernimmt, die sich das „Antependien-Retabel“ erschlossen hatte. Zwei Jahrzehnte nach seinem ersten
Erscheinen geht das vor allem von Guido geförderte und schon auf sieben Abteilungen erweiterte Flach-
dossale, zusammen mit dem Spitzgiebelretabel, in den von der sienesisehen Kunst auf ihrer Giundlage
entwickelten Polyptychen auf114, deren erstes Beispiel das Dossale Vigorosos von 128? ist (Abb. 162).
Die reinen Szenenretabel bleiben bloße Sonderfälle. Da sie mit der Gewinnung der ungebrochenen Bild-
fläche das Moment einer in sich geschlossenen und die reine Zuständlichkeit aufhebenden Handlung
verbinden, hätten sie, bei geeigneter Nachfolge, der Entwicklung weit vorausgreifen und die Entstehung
des Vieltafelwerks inhibieren können.
In der ersten uns interessierenden Etappe erfolgt der Ausbau des Polyptychontypus durch die Ein-
führung einer Galerie und die Höherlegung des Hauptgeschosses mittels einer Predella, die sich bei den
Polyptychen nachhaltiger als im Zusammenhang mit irgendeiner anderen Retabelgattung durchsetzt.
Der Anknüpfungspunkt für ihre Entstehung wird auch hier in der einfachen stufenartigen Erhöhung
liegen (vgl. S. 158), die als Unterlage bei der Aufstellung diente und der künstlerisch bearbeiteten Sockel-
zone vorangeht; was diese betrifft, wird sie als Basis von vornherein in die Konzeption des Retabelkörpers
einbezogen.
Da das bei den Antependien- und Vita-Retabeln leicht zu befriedigende Bedürfnis der Verbindung
figuraler Darstellungen mit einer illustrierenden Szenenfolge von den Flachdossalen und den frühen
Polyptychen nicht erfüllt wurde, nimmt es nicht wunder, daß man sogleich von der Möglichkeit Gebrauch
machte, an dieser Stelle zyklische Darstellungen anzubringen. Dies geschieht bereits auf dem Altarwerk
Cimabues für S. Chiara in Pisa. Die Selbstverständlichkeit mit der im Vertragstext von der „predula“
gesprochen wird, macht deutlich, daß sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als etwas Außergewöhnliches
betrachtet wurde, also vor 1302 schon eine durchaus geläufige Erscheinung gewesen ist. Die Entstehung
der Predella scheint deshalb dem um 1280 erfolgten Übergang vom Flachdossale zum Polyptychon
zeitlich ganz dicht gefolgt zu sein. Sie dürfte in Siena, der Heimat dieses Typus, stattgefunden haben,
wenngleich auch nicht die Möglichkeit besteht, einen bestimmten Künstler als „Erfinder“ namhaft zu
machen. Die Neuerung ist wohl am ehesten Duccio zuzuschreiben, der bei den im nächsten Kapitel zu
behandelnden Maestä-Kompositionen von 1302 und 1308-1311 in Siena dieses Zwischenglied verwendet,
das sein Schüler Simone Martini um 1317 in Neapel (Abb. 139) und kurz darauf bei seinem Pisaner Altar
übernimmt. Cimabue und Giotto, aus dessen Werkstatt um 1320 das Stefaneschi-Triptychon hervorgeht,
sind sicher nicht als Autoren der Erfindung anzusehen, da sie mit der ihnen sonst nicht geläufigen Bild-
form sehr wahrscheinlich auch den Gebrauch der Predella empfangen. Die spätere Entwicklung der
szenengeschmückten Predella verläuft nach den Darlegungen Öffners115, in der Weise, daß es in der
zweiten Hälfte des Trecento zu einem häufig geübten Brauch wird, in jedem Kompartiment ein Ereignis
aus der Vita des darüber befindlichen Heiligen darzustellen. Hiervon unterscheidet Offner als zweiten
Typ der Predellendekoration die Füllung des Sockelstreifens mit einer Reihe von Heiligenfiguren, die als
Halbstücke erstmalig bei Simones Retabel in Pisa auftreten und fast gleichzeitig in ganzer Gestalt auf
dem eben schon genannten Stefaneschi-Triptychon wiederkehren, das um 1320 für den Hauptaltar von
Alt-St. Peter in Auftrag gegeben wurde. Sie befinden sich, eine von den Erzengeln begleitete thronende
Muttergottes flankierend, auf der Rückfront, hier also der dem'Volke zugewandten Seite, unterhalb des
hl. Petrus in Kathedra und der neben ihm auf den Seitenflügeln durch Arkaden zu Paaren gegliederten
Apostel.
Der Figur Petri entspricht auf der Seite des Zelebranten die Gestalt des thronenden Salvators. Er ist
zwischen zwei Szenen des Martyriums der Apostelfürsten dargestellt, die als dekorative Besonderheit
dieses Retabels den ganzen Raum der seitlichen Abteilungen einnehmen. Dieser unter den Giebeltypen
sonderbare Fall zeigt nicht nur das Bestreben der Szene aus der Subordinierung heraus wieder an den
alten Platz neben die Hauptfigur zu treten, sondern deutet zugleich auch die Tendenz an, sich an die

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