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Kunsthaus Heinrich Hahn <Frankfurt, Main> [Hrsg.]
Französische Stein-Plastik (13. - 15. Jahrhundert), französische Holz-Plastik (13. - 16. Jahrhundert), deutsche und niederländische Stein- u. Holz-Plastik (13. - 17. Jahrh.): Dienstag, 17. Juni 1930 (Katalog Nr. 16) — Frankfurt a. Main, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.5266#0006
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VORWORT

Die Geschichte der gotischen Bildhauerkunst Lothringens ist
noch ganz in Dunkel gehüllt. Weder die französische noch
die deutsche Forschung hat sich für dieses Gebiet der mittel-
alterlichen Plastik bis jeljt sehr interessiert gezeigt. Die
richtige Erkenntnis, daß das französische Kronland Wiege
und Ausgangspunkt des gotischen Stils ist, hat die Gelehrten
dazu geführt, sich in erster Linie und fast ausschließlich
mit der gotischen Plastik der Pariser Gegend zu befassen;
alles andere wurde als „provinziell" übersehen oder doch
nur in soweit beachtet, als es dem Stil des gotischen Kern-
landes besonders nahe kam. Lothringen bietet gerade da-
für ein sehr drastisches Beispiel: Das Reliquiar von Marsal,
die einzige allgemein bekannte weil mehrfach und gut ver-
öffentlichte Skulptur des 14. Jahrhunderts in Lothringen,
gilt vielen als der Inbegriff des „Lothringischen", ist aber
offenbar gar nicht das Produkt einer spezifisch-lothringischen
Entwicklung, sondern stark mit fremden, insbesondere Pariser
Einflüssen (nach Richard Hamann aber auch mit deutschen
Anregungen) durchseht. Das Bild der lothringischen Plastik
haben wir uns wegen dieses Kreuzfeuers von Einflüssen
überhaupt sehr reich und vielgestaltig vorzustellen. Loth-
ringen ist kulturell und künstlerisch ein ausgesprochenes
Grenzland, in höherem Maße und in einem ganz anderem
Sinn als das Elsaß oder überhaupt das Rheingebiet. Daß es zu
allen Zeiten westlichen Einflüssen besonders stark ausgesetzt
war, wird niemand wundern, der seine Geschichte kennt, aber
man darf darüber das starke östliche, will sagen deutsche Ele-
ment, das mindestens zu Zeiten sehr wirksam war, nicht ver-
gessen, östliches und westliches stehen gelegentlich dicht und
unvermittelt nebeneinander. Die zahlreichen guten Stein-
skulpturen, die jeßt bei Heinrich Hahn versteigert werden,
sind unter diesem Gesichtswinkel besonders interessant und
haben eine umso größere Beweiskraft, als die genaue Her-
kunft fast aller Stücke gut verbürgt ist.
Unter den besonders zahlreich und gut vertretenen Ma-
donnen des 14. Jahrhunderts ist nicht eine einzige, die

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