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Stilisierung 265
wird das Konstruierte, Akademische der Bewegung, wo es in
Zusammenhang mit realistischen Themen tritt. In einem Kin-
derreigen von 1872 wandelt Thoma das Zeitthema des Reigens
in einem Tanz von Dorfkindern ab. Wieder bleibt man an der
schönen sorgfältigen Zeichnung aller Einzelwesen haften, be-
sonders des Mädchens in der Mitte, der prachtvoll-schwärz-
lichen tonigen Art, mit der die schlichten Bauernkleider gemalt
sind. Aber die Bewegungen sind steif, die Glieder hängen in
der Luft. Auch die raufenden Buben von 1872 sind ja ein
Thema der Gründerzeit; Kamps, Kraftentfaltung, Leben und
Bewegung. Aber hier werden die Dorfjungen nicht durch den
Kampf heroisiert, sondern wir sehen nur die Stilisierung einer
Straßenszene, die diese Stilisierung nicht verträgt. Besonders
in der oberen Gruppe sind alle Glieder in fühlbarer Absicht in
die Bildebene gereckt und sichtbar gemacht. Dabei ist die Malerei
schwarzer, kupferner und weißer Töne in den Anzügen, den
Gesichtern und Hemdsärmeln von höchstem Schmelz und Adel.
Ja schon für den Ausdruck des rein Struktiven einer mecha-
nische Kraft beanspruchenden Situation mangelt Thoma das
Gefühl. Eine Flucht nach Ägypten von 1879 zeigt den Zug der
heiligen Familie von einem wegweisenden Engel geleitet so,
daß die Figuren zur Hälfte vom unteren Rande durchschnitten
sind, und nun zwar eindrucksvolle Existenzen und Charaktere
sichtbar werden, aber das durch die Bewegung des Engels an-
gedeutete Vorwärtsschreiten völlig unklar bleibt. Noch unan-
genehmer empfindet man einen solchen Bildausschnitt, wenn
eine Frau mit einem Kinde auf dem Schoß in der Hängematte
liegt (1876), die Masse durch die schwere solide Malerei selber
mächtig und schwer geworden ist, aber nun völlig in der Lust
schwebt, da die Stützpunkte der Hängematte im Bilde nicht
sichtbar werden.
Ein gewisse abstrakte Stilisierung mischt sich selbst in einige
seiner Landschaften hinein, besonders in der Zeichnung feinen
Wellengekräusels, wie in dem schönen Bilde des Rheinfalls bei
Schaffhausen (1876), wo eine von leichten, rüschenartig ge-
zeichneten Wellen gekräuselte ebene Wasserfläche herangeht an
einen Hügelabhang, dessen breite Trapez fläche fast geometrisch
klar umgrenzt ist. Nach beiden Seiten geht es etwas empor zu
 
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