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R. Voigtländers Verlag <Leipzig> [Editor]
Handbüchlein des künstlerischen Wandschmucks: mit über 500 Probeabbildungen wertvoller Wandbilder, meist farbigen Künstler-Steinzeichnungen; Deutsche Kunst, Bilder aus dem Weltkriege und anderen vaterländischen Erhebungszeiten ... — Leipzig: Voigtländer, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.34181#0009
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V

Zwei Denkmäler aus der Geschichte det Frage „Kunst und Schule" seien hier wiedsrgegeben:
1. Ein Auszug aus dem Werke: „Bildende Kunst und Schule" von Professor Or. Wilhelm Bein,
Jena (Verlag h. Seger K Söhne, Langensalza), in dem die Forderungen aufgestellt wurden,
und
2. Oie Verhandlungen in einem Stadtparlamente, als Beispiel der Wirkung jener Forderung.
Bildende Rnnft und Schule, von pvofssssr Or. Wikhelnr Rein, Jena-
wenn wir Werke der bildenden Kunst in die Schule einführen wollen, kann es sich nicht darum
handeln, ein neues Wissensgebiet dem Schüler zu eröffnen, etwa eine Art Kunstgeschichte damit zu
verbinden. Das wäre genau das Gegenteil von dem, was wir wollen. Nicht mit den Ghrsn, son-
dern mit den Augen mutz die bildende Kunst erfatzt werden. Wo dis ersteren die Hauptrolle spielen,
wird der Schwerpunkt der künstlerischen Erziehung an die Peripherie des künstlerischen Genietzens
verschoben. Kunst kann nicht gepredigt, sie mutz empfunden werden, wir erstreben also eine Ge-
wöhnung an die künstlerische Umgebung an, die unbewutzt, mit einer Art zwingender Notwendigkeit
wirkt und zur inneren Nötigung wird, die Umgebung ästhetisch zu erfassen, zu gestalten, zu geniesten.
So würde es also darauf ankommen, das Nutzere des Schulhauses, die Zimmer und Gänge künst-
lerisch zu gestalten und aus dem Reichtum guter Bilder in mannigfachem wechsel zu wählen und
auszuhängen, das Aufgehen der Saat aber in den Herzen der Kinder ihrem eigenen Genius zu
überlassen. So meinen wohl alle, die, von der wunderwirkenden, werbenden Kraft der Kunstwerke
überzeugt, ihnen allein vertrauen. Andere aber, die zwar auch diesem Einflutz willig folgen, suchen
zugleich dem Werden und Wachsen der Gefühle im geistigen Leben der Kinder nachzugehen und
sind bemüht, Knhaltpunkte dafür zu finden, wann die ausgehängtsn Bilder am ehesten die Wir-
kungen auslösen können, die man von ihnen erwartet. Sie haben gefunden, datz bei einem plan-
losen Auswählen und Aufhängen viel für die Kinder verloren geht, was durch vorausgehende plan-
volle Überlegung des künstlerisch fühlenden Lehrers leicht gerettet werden kann. Und wenn das
künstlerische Geniesten auch in das Gebiet der freiwaltenden phantasierenden Tätigkeit unsers Innern
gehört, so ist es doch keineswegs gesetzlos. Sowenig es einen äutzeren Zwang verträgt und alles
von der liebevollen, freien Hingabe abhängt, so ist diese Hingabe doch auch von gewissen Gesetzen
beherrscht. Das ästhetische Geniesten ist, wie alle geistige Tätigkeit, einer Entwicklung fähig, durch-
läuft verschiedene Entwicklungsstufen, lehnt ab und nimmt an, je nach dem Standpunkt, den es
selbst erreicht hat.
Das Gesetz der Apperzeption findet auch auf dem Gebiet der Kunst Anwendung. Und wie könnte
es auch anders sein? Das künstlerische Geniesten ist doch nicht etwa von unserem übrigen Seelen-
leben losgelöst, für sich bestehend, sondern vielmehr so innig mit all unseren geistigen Funktionen
verflochten, datz es ja geradezu zu einer inneren Harmonie verhelfen kann, die wir sonst vielleicht
schmerzlich entbehren. Deshalb ist es auch wie andere seelische Zustände bestimmten Gesetzen unter-
worfen. Das ist eine psgchische Tatsache, über die sich auch der Künstler nicht Hinwegsetzen kann,
wenn er nach der Wirkung seiner Werke in den Herzen des Volkes oder der Fugend fragt.
Wir wollen Kunstblätter, die dem kindlichen Gemüt faßbar sind, zur ruhenden und dauernden
Beschauung darbieten m der Hoffnung, datz daraus ein augenblicklicher erzieherischer Gewinn er-
wächst: Erwärmung und Erhebung dec jungen, aufnahmefähigen, noch nicht verbildeten Seelen,-
und mit der Zeit ein nicht geringerer für die Zukunft: das Bedürfnis, die Gedanken höheren Beschäf-
tigungen zuzuwenden, und die Fähigkeit, jenen unvermittelten Gffenbarungen sich zu erschließen,
die nur dis Kunst gibt, da sie die Prophetin einer besseren und höheren Welt ist. Wir denken da-
bei in unseren Erziehungsschulen an keinerlei praktischen greifbaren Nutzen, sondern an eine stille,
unvermerkte Einwirkung auf den Sinn der Fugend, von der wir eine Veredelung der jungen Ge-
 
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