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Voll, Karl [Oth.]
Hanfstaengls Maler-Klassiker: die Meisterwerke der bedeutendsten Galerien Europas (Band 1): Die Meisterwerke der Königl. Älteren Pinakothek zu München: 263 Kunstdrucke nach den Originalgemälden : nach photographischen Neuaufnahmen 1905 — London, München, New-York: Franz Hanfstaengl, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.71031#0015
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Brügge gemalt wurde und in fast unzähligen Einzelszenen die sieben Freuden
Mariä von der Verkündigung bis zur Anbetung des Kindes durch die drei
Könige erzählt. Die Anordnung kommt uns heute etwas sonderbar vor; wir
lieben es nicht mehr wie Memling, beim Gemälde, so wie beim Epos, eine
Geschichte in eine Reihe von aufeinanderfolgenden und docli nebeneinander in
einer einzigen Fläche dargestellten Handlungen zu zerlegen. Der Künstler weiss uns
jedoch schnell über das Befremdliche durch die Fülle der reizendsten Motive
wegzuhelfen. So viel Anmut wie hier findet sich kaum auf einer zweiten Tafel
jener Zeit zusammen. Von Memling besitzt die Galerie noch ein anderes Gemälde,
den hl. Johannes, traulich und feierlich zugleich in freier Parklandschaft sitzend.
Gegen Ende des 15. und im Beginn des 16. Jahrhunderts erfuhr die alt-
niederländische Schule eine ganz naturgemäss erfolgende Umänderung des Ge-
schmacks, die bald zu einer fast völligen Auflösung ihrer bisherigen Grundsätze
führte. Die Renaissance begann sich auch jetzt im Norden einzustellen und die
Gotik abzulösen. Zunächst geschah das ohne Einführung antiker Motive, sodass
das prinzipiell Neue äusserlich doch gegen die eine Zeitlang nocli weiter ge-
führten gotischen Formen zurücktrat. Der bedeutendste Meister dieser Richtung
ist Gerard David, der im Sinne der neueren Zeit schon ganz konsequent auf
eine durchgreifende Zusammenfassung der koloristischen Wirkung hinarbeitete
und die gotische Buntheit beseitigte. Gewöhnlich wählte er einen bläulichen
Ton, auf den er seine Gemälde stimmte, sodass sie mitunter, um einen modernen
Ausdruck zu gebrauchen, einer Symphonie in Blau glichen. Damit ging Hand
in Hand eine Ausgleichung und Ausrundung der Formen, bei der dann die
peinliche, aber so sehr bewundernswerte Schärfe der Schule des 15. Jahrhunderts
verloren wurde. Einen guten Beleg für diesen Geschmack bildet die grosse An-
betung der drei Könige, die wohl mit Recht dem Gerard David selbst zu-
geschrieben wird, während in neuerer Zeit versucht wurde, sie als eine Kopie
nach Hugo van der Goes hinzustellen.
Über Gerard David hinaus und unabhängig von ihm entwickelten dann
Lucas van Leyden und Quentin Massys den Stil der nordischen Renaissance.
Vom ersten besitzt die Pinakothek ein kleines, aber bedeutendes Werk,
das sich einst in der Sammlung Kaiser Rudolfs befunden hat. Die leider vor
einigen Jahrzehnten ungeschickt umgebildete Tafel zeigt in der Freiheit der
Charakterentwickelung und in den Ornamenten bereits den Stil der Renaissance,
allerdings in ihren noch etwas bunten Anfängen. Bei der Pieta, die dem
Quentin Massys schon seit alter Zeit zugeschrieben wird, sind die Elemente des neuen
Stiles schon so weit entwickelt und gehen bereits so nahe an den Manierismus von
der Mitte des 16. Jahrhunderts heran, dass die Eigenhändigkeit der Ausführung
durch Massys bei diesem sehr berühmten Bild einigermassen fraglich erscheint.
Interessant ist es, zu beobachten, wie am Ende des 15. und am Anfang des

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