S P A N I E N
ERSTESBUCH
Geschichtlicher Überblick und Gesamtbild
Fern vom kämpfenden und arbeitenden Europa liegt die südwestliche
Halbinsel; ganz andere Mächte bestimmten ihr Schicksal. Das gesamte Mittel-
alter, fast achthundert Jahre hindurch, ging dort der Kampf darum, die anders-
gläubigen fremden Eindringlinge aus dem Lande zu vertreiben und das Kreuz auch
auf den letzten Moscheen und Alkazaren aufzupflanzen. Die christliche Religion,
allerdings in der strengsten Form der katholischen Kirche, war die innerste Seele
jener Menschen und ist sie in gewissem Sinne bis heute geblieben, aber nicht als
eine bloße Religion, ein Bekenntnis, sondern als der Inhalt des Daseins; was
sie lehrte, war doch nicht Lehre, sondern geglaubte Wirklichkeit; das muß man
erst erfaßt und erlebt haben, ehe man spanisches Wesen und spanische Kunst
verstehen kann. Und auch die Geschichte und die Politik Spaniens ist erst
begreiflich, wenn man weiß, daß das Christentum für jene Menschen einen
wirklichen greifbaren Teil des Lebens, eine absolut unerschütterliche alles
bestimmende Wahrheit darstellt. Für Italien und für die anderen Länder war
es eine Idee, für Spanien die Wirklichkeit, die auch das tägliche Leben beherrscht.
Wunderbar genug bringt der Anbruch der neuen Zeit für das Land
nun in diesem ihm Wichtigsten die wirkliche Erfüllung, der Schluß des
15. Jahrhunderts (1492) die Eroberung der letzten Mäerrenburg Granada, und
dasselbe Jahr die Entdeckung Amerikas mit neuen Möglichkeiten für die Yer-
breitung der katholischen Religion.
So ist der Beginn der Renaissance, der anderorts einen Kampf der Geister
entfesselte, die Grundlagen gerade des katholischen Glaubens zu erschüttern
drohend, hier die tatsächliche Erfüllung seines Daseinsinhaltes, bringt aber zugleich
die gewaltigsten Erfolge materieller Art. Man griff mit Händen, wonach man
als Christ acht Jahrhunderte gestrebt, den Triumph des Christentums, wie man
es auffaßte, und kein Bedenken, kein Zweifel trübte diese neue Offenbarung.
So kam auch die junge Renaissance hier in ganz andere Umgebung und Yer-
hältnisse, als sonst — und alles das bedingt ihr so gänzlich andersartiges und
so eigentümliches Antlitz.
Das gilt uneingeschränkt für Spanien, kaum minder auch für Portugal,
obwohl dort die Wiedereroberung des Landes schon im 12. Jahrhundert vollendet
war. Aber das obwohl oft feindliche Nachbarland war da doch Vorbild und
maßgebend genug, daß sein inneres Wesen auch für das des kleineren Nachbar-
landes bestimmend blieb. Der Kampf für den Glauben ging ja in Spanien bis
tief in die folgenden Jahrhunderte. Karl V hatte noch 1531 durch die Er-
oberung von Tunis den Kampf gegen die Ungläubigen nach Afrika getragen,
den er 1541 in Algier — obwokl ohne Ergebnis — fortsetzte. D. Juan d’Austria
Haupt, Eenaissance in Spanien nnd Portugal 1
ERSTESBUCH
Geschichtlicher Überblick und Gesamtbild
Fern vom kämpfenden und arbeitenden Europa liegt die südwestliche
Halbinsel; ganz andere Mächte bestimmten ihr Schicksal. Das gesamte Mittel-
alter, fast achthundert Jahre hindurch, ging dort der Kampf darum, die anders-
gläubigen fremden Eindringlinge aus dem Lande zu vertreiben und das Kreuz auch
auf den letzten Moscheen und Alkazaren aufzupflanzen. Die christliche Religion,
allerdings in der strengsten Form der katholischen Kirche, war die innerste Seele
jener Menschen und ist sie in gewissem Sinne bis heute geblieben, aber nicht als
eine bloße Religion, ein Bekenntnis, sondern als der Inhalt des Daseins; was
sie lehrte, war doch nicht Lehre, sondern geglaubte Wirklichkeit; das muß man
erst erfaßt und erlebt haben, ehe man spanisches Wesen und spanische Kunst
verstehen kann. Und auch die Geschichte und die Politik Spaniens ist erst
begreiflich, wenn man weiß, daß das Christentum für jene Menschen einen
wirklichen greifbaren Teil des Lebens, eine absolut unerschütterliche alles
bestimmende Wahrheit darstellt. Für Italien und für die anderen Länder war
es eine Idee, für Spanien die Wirklichkeit, die auch das tägliche Leben beherrscht.
Wunderbar genug bringt der Anbruch der neuen Zeit für das Land
nun in diesem ihm Wichtigsten die wirkliche Erfüllung, der Schluß des
15. Jahrhunderts (1492) die Eroberung der letzten Mäerrenburg Granada, und
dasselbe Jahr die Entdeckung Amerikas mit neuen Möglichkeiten für die Yer-
breitung der katholischen Religion.
So ist der Beginn der Renaissance, der anderorts einen Kampf der Geister
entfesselte, die Grundlagen gerade des katholischen Glaubens zu erschüttern
drohend, hier die tatsächliche Erfüllung seines Daseinsinhaltes, bringt aber zugleich
die gewaltigsten Erfolge materieller Art. Man griff mit Händen, wonach man
als Christ acht Jahrhunderte gestrebt, den Triumph des Christentums, wie man
es auffaßte, und kein Bedenken, kein Zweifel trübte diese neue Offenbarung.
So kam auch die junge Renaissance hier in ganz andere Umgebung und Yer-
hältnisse, als sonst — und alles das bedingt ihr so gänzlich andersartiges und
so eigentümliches Antlitz.
Das gilt uneingeschränkt für Spanien, kaum minder auch für Portugal,
obwohl dort die Wiedereroberung des Landes schon im 12. Jahrhundert vollendet
war. Aber das obwohl oft feindliche Nachbarland war da doch Vorbild und
maßgebend genug, daß sein inneres Wesen auch für das des kleineren Nachbar-
landes bestimmend blieb. Der Kampf für den Glauben ging ja in Spanien bis
tief in die folgenden Jahrhunderte. Karl V hatte noch 1531 durch die Er-
oberung von Tunis den Kampf gegen die Ungläubigen nach Afrika getragen,
den er 1541 in Algier — obwokl ohne Ergebnis — fortsetzte. D. Juan d’Austria
Haupt, Eenaissance in Spanien nnd Portugal 1