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Haushofer, Maximilian
Die Landschaft — Sammlung illustrierter Monographien, Band 12: Bielefeld, Leipzig: Verlag von Velhagen & Klasing, 1903

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Realistische und stilvolle Formen.

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Abb. 40. Dünen von Ahrenshoop. Zeichnung von Guido Richter. (Zu Seite 26.)

verwischt die charakteristische Gliederung jener Berge, die ihn tragen, bis zu den Höhen,
an die er hinan reicht. Aber das darf ihm in Anbetracht seiner wirtschaftlichen Seg-
nungen nicht verargt werden.
Als realistisch bezeichnen wir Wohl die Erscheinung einer Berggestalt, die unter
der Pflanzendecke noch ein Felsgerippc mit Flächen und Kanten, mit Ein- und Aus-
buchtungen, Runscn, Spalten und Rippen zeigt, die uns noch Schichtenflächen und
Schichtenköpfe, geradlinige, gebogene und gebrochene Lagerungen des Gesteins, feste und
Trümmermassen unterscheiden läßt; wo also unser Auge aufmerksam gemacht wird auf
jene geologischen Vorgänge, denen die Erderhebungen möglicherweise ihre Entstehung
und ihre spätere und künftige Umgestaltung verdanken. In diese Gruppe fallen bei
weitem die meisten der über die Grenze des Waldwuchses emporragenden Berge. Da
unterscheiden wir deutlich die mannigfachen Einzelheiten, die im Aufbau eines Berges
auftreten können: die Mulden und Kessel, die Schluchten, Klüfte, Terrassen, Stufen,
Felsbänder und Schutthalden.
Eine stilvolle Bergform ist dagegen jene, wo zwar die realen Formen die
Grundlage bilden, aber zu einer solchen Gestaltung gekommen sind, daß es scheint, als
hätten die Naturkräfte mit einem gewissen künstlerischen, architektonischen Verständnis am
Bau des Gebirges gearbeitet. Berge mit stilvollen Formen treten dem Beschauer ent-
gegen wie gewaltige aus der Erde hcrvorgestoßcne Kristalle, deren gerade Kanten und
Flächen nur stellenweise von ungeheuerem Drucke gebrochen und verbogen sind. Da
finden sich geradlinige Kämme an einer Stelle eingerissen, Spitzen gebrochen, Strebe-
pfeiler angesetzt, Wände mit Zinnen oder Türmen geschmückt; aber ohne kleinliche Züge;
alles wie von tastenden, kunstsinnigen Riesenhänden. Gerade, aber mit verschiedenen
Neigungswinkeln abfallende Profillinien sind besonders bezeichnend. Die Höhe ist durch-
aus uicht entscheidend. Denn die kleinen Felshügel des fränkischen Jura, die unter den
deutschen Mittelgebirgen das meiste Stilgefühl aufweisen, bieten oft weit mehr künst-
lerische Schönheit, als manche ungleich höhere Erhebung in den Alpen. Eine außer-
gewöhnlich stilvolle Bergcrscheinung bietet bekanntlich der Ätna; in den Alpen finden
sich die stilvollsten Berge in den Zügen der nördlichen und südlichen Kalkalpen. Und
wie der Künstler Bergformen stilisiert, zeigt mit vollendetster Meisterschaft K. Rottmann
in seinen griechischen und italienischen Landschaften.
 
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