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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Nr. 283-308 (1. - 31. Dezember 1852)
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N‘ 283.

Mittwoch, 1. December

1852.



2 fl. 6 f
Die Landwirthſchaftlichen


Der Brand des Grimſelhotels.

Die ganze Schweiz beſchaͤftigt ſich gegen-
wärtig mit dem Brande, welcher das Grim-
ſelhotel in Aſche gelegt hat. Die Umſtände,
welche mit diefem Exeigniſſe verbunden ſind,

und die ſeltſamen Gerüchte, die es erzeugt
hat/ ſind geeignet, dem Criminalprozeffe,
welcher eingeleitet iſt, einen Platz in den
gerichtlichen Annalen der Neuzeit anzuweifen.

Es giebt unter uns viele Perſonen, die
im Grimſelhotel oder Grimfelhoſpiz über-
nachtet haben, welche den Papa Zybach
kennen welche eine fröhliche und herzliche
Aufnahme bei ihm gefunden und welche
ebenſo ſehr, wie wir ſelber, erſtaunt ſein
werden, zu erfahren, daß ſie von einem
Manne bewirthet wurden, welcher heute
angeflagt ift, daß er nichts anders als ein
Rauberbauptmann ſei und im Verdacht
ſteht eine lange Reihe von Veroͤrechen ver-
übt zu haben.

Die Grimſel iſt eine der wichtigen Durch-
gaͤnge der Schweiz, der einzige Verbindungs-
weg zwiſchen Oberwallis und dem oberen
Theile des Haslithales im Canton Bern.
Sie iſt ein nothwendiger Ruhepunkt für
die Wanderer, welche, nachdem ſie das Uri-
thal durchſchritten, durch die Furkangehen,
den Rhonegletſcher beſuchen und durch das
Aarthal wieder nach Meyringen herab
wollen.

Die Grimſel, ſagt Hr. Deſor in dem
intereſſanten Bande, mo er feine Ausflüge
in die Alpengletſcher mit Herrn Agaſſiz
ſchildert, die Grimſel war ehedem ein Klofter
wie das vom St. Bernhard und vom St.
Gotthard. Mönche hatten ſich daſelbſt nie-
dergelaſſen, um die verirrten Reiſenden zu
unterſtützen und zu beherbergen; und aus
Erkenntlichkeit für ihre Ergebenheit waren
ſie ermächtigt eine jährliche Eollecte in
mehreren Kantonen der Schweiz zu machen.
Als ſie zur Zeit der Reformation das Ho-
ſpiz verließen, wurden ſie durch einen Paͤch-
ter erſetzt, welcher nebſt dem Rechte des
Sammelns die Verpflichtung behielt, die
armen Reiſenden zu beherbergen. Das Recht,
den Pachter zu ernennen, gebührte den Ge-
meinden von Haßli, unter der Aufſicht der
berniſchen Regierung. Ehedem waren es
meiſt nur die Landesleute oder einige über

den Gries-Gletſcher aus Italien kommende

arme Reiſende, welche den Grimſelpaß
durchſchritten; aber in unſern Tagen, wo
edermann das Beduͤrfniß empfindet, die

Schweiz zu bewundern und ſich großen Ge-

fahren am Nande graͤßlicher Abgründe aus-

zuſetzen, iſt die Grimfel eine fehr beſuchte

Station geworden, und nur noch die vor-

nehmen Leute des Thales konnen auf die

Ehren des Nachters Anſpruch machen.

„Das Hofpiz il am ufer eines tieinen
Sees, genannt Grimſelſee⸗ gebaut, aus wel-
chem ein Bach entſchlüpft, der unter dem
Hauſe durchgeht und in einiger Entfernung
von da ſein klares Waſſer mit den Irüben
Gewaͤſſern der Nar vermengt. Das Haus
hat ein armſeliges und truͤbes Ausſehen,
und wenn man ſeine alten zerfreſſenen
Mauern ſieht hat man Muͤhe zuͤ begreifen,

daß ſie den Stürmen und Oreanen wieder-
ſtehen könnten, welche ſo oft über dieſe
Einſamkeiten losbrechen; man begreift noch
weniger, daß ſo viele Reiſenden daſelbſt
ein gehoͤriges Obdach finden könnten, denn
es gefchieht oft, daß funfzig und ſechzig
Paffagiere ba Üübernacdhten, Aber man ift
faum bineingetreten, alg man über die da-
ſelbſt herrſchende Bequemlichkeit und Rein-
lichkeit ſtaunen muß.! Ihr kommt in einen
großen, freilich ſehr niedrigen Saal, deſſen
hölzerner Fußboden unter euren Schritten
zittert; aber im Hintergrunde kniſtert ein
loderndes Feuer in einem großen Kamin;
dahin führt man euch, um euch zu wärmen
oder euere Fuße zu trocknen. Im ganzen
Saale iſt kein Luxusmöbel; die Wände ſind
blos begipſt das Kamin hat keinen Spiegel;
die Fenſter ſind niedrig und ohne Vorhänge,
und deſſen ungeachtel fühlt man ſich da-
felbſt ganz behaglich und heimiſch, denn
alles bies iſt in vollkommenem Einklange
mit dem Character des Ortes; man möchie
fagen, daß in dieſer Einfachheit eine Bürg-
ſchaft liegt, welche der verdächtige und klein-
liche Lurus des Hotels von Grimſelwald
und Mehringen nicht darbietet. Das Abend-
eſſen vereinigt alle Reiſenden um eine große
Tafel, welche reichlich und reinlich ausge-
ſtattet iſt.

„Der obere Stock iſt in eine Menge klei-
ner Zimmer eingetheilt, wahrhafte Zellen,
welche durch einfache hölzerne Scheidewände
von einander getrennt ſind und in denen
zur genauen Noth Platz iſt für zwei Betten,
zwei Stühle und einen Tiſch. Es geſchieht
oft, daß man ſeine Zelle mit einem Reiſen-
den theilen muß, den man nicht kennt; aber
inmitten der gaſtlichen Luft, welche da oben
herrſcht, iſt der Mißſtand nicht groß, es ſei
denn, man hätte das Unglück irgend einen
enthuſtaſtiſchen Reiſenden zum Gefährten zu
bekommen, der einen mit Ausrufungen und
Verzückungen quält.

„Der jetzige Pächter, Hr. Zybach paßt
vollkommen für den Platz, den er inne hat.
Dies iſt ein gemüthlicher beliebter Papa,
in einem halbwollenen gelben Frack, Vaͤter
einer zahlreichen und hübſchen Familie, wel-
cher unter einem ſehr ſchlichten Aeußern ei-
nen geſchickten und beobachtenden Geiſt bürgt.
Er hat begriffen, daß er nur, dabei zu ge-
winnen hätte, wenn er ſeinen örtlichen
Character behielte. Auch findet man wenig
Reiſende, welche nicht über Papa Zybach
entzuͤckt wären. Wie kann man einem ſo
guten Manne übel wollen!, ...“

Und doch laſten heute ſo ſchreckliche Be-
ſchuldigungen auf
Mannẽ, welchen Hr. Deſor vor zehn Jaͤh—
ren ſo ſehr lobte.

In der Nacht vom 6. auf den 7, No-
vember wurde das Grimſelhoſpiz durch die
Flammen verzehrt. Es war im Gaſthaus
nur ein Dienſtbole, und, wie man ſagte,
ein Bauer aus dem Kanton Schwyz. Zy-
bach war am Abende vom 6. zu Meyringen
in einem Wirthshauſe geweſen und haͤtte
lebhafte Beſorgniſſe ausgedrückt, indem er
fagte, daß er am Himmel in der Richtung
der Grimfel einen bedeutenden rothen Schein


geſehen hätte. Am 7, gegen Mittag erfuhr
man in Meyringen, daß das Grimſelhoſpiz
in der vorhergegangenen Nacht abgebrannt
war. Der Unterpraͤfect begab ſich mit 3y
bach auf den Weg, von dem er ein per-
ſönlicher Freund war! Bei ihrer Ankunft
an der Grimſel fanden ſie die Bewohner
von Guttamen, des dem Hoſpiz zunächſt
gelegenen Dorfes, bereits beſchaͤftigt den
Schutt wegzuräumen, um den Leichnam des
Schwyzer Bauern zu ſuchen, welcher in der
Feuerebrunſt umgekommen ſein ſollte! Wie
erſtaunten ſie, alg ſie in einem Miſthaufen
Kiſten mit Flaſchen voll Wein und Liqueus-
ren entdeckten. Indem ſie ihre Nachſuchun-
gen fortſetzten, fanden ſie in einer benach-
barten Scheune 70 gut eingepackte Matra-
tzen, hierauf andere Kiſten vom Getäfel des
abgebrannten Haufes und ſogar die Fenſter,
welche verſteckt worden waren.

Alle dieſe Entdeckungen waren gemacht,
alg Zybach in Begleitung des Unterpräfee-
ten ankam, über ſein Unglück und über
ſeine Verluſte jammernd. Beim Anblick die-
ſer Ueberzeugungsſtücke wendete ſich der
Unterpraͤfect gegen Zybach und fagte zu
ihm: „Sie ſind ein Unglückticher, ein ver-
lorener Mann!“ Zybach erſchrocken, ſprang
in den Grimſelfee; aber man kam noch
rechtzeitig herbei, um ihn lebendig heraus-
zuziehen. Er ward gebunden und nach Mey-
ringen geführt, wo er mit ſeinem Sohne
und Ddret ſeiner Knechte im Gefängniß iſt.

Der Beweggrund, welcher Zydach veranz
laßt hat, das Hoſpiz in Brand zu ſtecken,
war, wie man ſagt, die Hoffnung auf den
Gewinn des hohen Betrages der Affecus-
ranzen. Er reitete ſein Mobiliar, ſeine Ef-
fecten und ſollte einen guten Preis dafür
empfangen. Er hatte, um das Feuer anzu-
legen, die Nacht vom 6, auf den 7, Nov.
gewählt, da der Südwind den ganzen Tag
über geweht hatte! Dieſer Wind dbringt ge-
wöhnlich ſtarken Schnee, in deſſen Folge
die Grimſel unzugänglich bleibt, Das Wet-
ter hat die Berechnung Zybachs getäufcht.

Seitdem die Thatſaͤchen unwiderleglich
die Schuld des Grimſelwirthes dargethan
haben, erhebt ſich Verdacht aller Art gegen
dieſen Menſchen, der vor Kurzem noch eis
nen ſo großen Einfluß in der Gegend ge-
noß und deſſen leutſelige Gutmüthigkeit das
Vertrauen der Reiſenden anzog! Unheil-
volle Gerüchte ſind im Umlaufe, Serüchte
der Art, ſagt die Allgemeine Zeitung“, daß
alle diejenigen, welchẽ eine Naͤcht im Grim-
ſelhotel zugehracht haben, ſich Gluͤck wünſchen
dürfen, wohlbehalten herausgekommen 3R
ein.

Man vermuthet im Kanton Bern, daß
Zybach, ſein Sohn und feine Knechte eine
Bande von Räubern und Mördern bildeten,
welche die Reiſenden plünderten und er-
mordeten, wenn ſie es thun konnten, ohne
Argwohn zu erregen.

Man bringt in Erinnerung/ daß vor zwei
Jahren drei franzöſiſche Touriſten im Ber-
ner Oberlande verſchwunden ſind, ohne daß
man die geringſte Spur von ihnen zu fins
den vermochte. Zybach, damals vom Grrichte
verhört, ſagte aus, daß dieſe Reiſenden
 
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