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Heidelberger Journal (46) — 1852

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Beilage-Blätter Nr. 1-13; 15-18: 20-22; 24-60; 62-157
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https://doi.org/10.11588/diglit.66017#1239
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X *


NN

Donnerſtag, den 1. Januar

1852.

Karlsruhe 30. Dec. Der Kriegspraͤſt-
dent Oberft v. Roggenbach hat aus Aulaß der
Crnennung Sr. großh. Hoheit des Markgrafen

ayimiltian zum Kommandeur des großh.
Armeekoͤrps folgenden Tagshefehl an die Of-
; * Kriegsbeamten und die Mannſchaft ge-

et:

„Se. Königliche Hoheit ber Großherzog-
Unfer gnädigſter Kriegoͤherr, hat den Herrn
Naͤrkgrafen Maxtmklſan, Großherzogliche
Hoheit, an die Spitze Höchſtihrer Truppen be-
rufen und damit denſelben einen neuen Beweis
Boͤchſtſeiner landesväterlichen Fürſorge und eines

höchſt ehrenden Vertrauens gegeben.

Ich erwarte von ſämmtlichen Angehörigen
des MrmercorpS, daß ſie die hohe Gnade und
die hohe Ehre, die dem Armieccorps hiedurch
gewoͤrden, nach ihrem ganzen Umfang erken-
nen werden.

„Durch dieſe Höchſte Entſchließung erhal-
ten die neuerſtandenen Truppen einen erhabe-
uen Prinzen des großherzoglichen Hauſes zum
Jührer, der in frühefter Jugend ſchon auf den
Schlachtfeldern einer großen Zeit ſeine xitter-
lichen Tugenden und ſeine glühende Vater-
Iandgliebe mit ſeinem edlen Blüte beſtegelte,
ein Prinz, der ſchon beinahe ein ganzes Men-
ſchenaͤlter in dem Armeecorps ſegensreich ge-
wirkt und zu allen Zeiten und Verhältniffen.
Jeden zu wahrer innigfter Berehrung Hinge-
viffen hat, dem das Glück geworden, in nähere

erührung mit ihm zu treten.

Laſſen Sie uns daher die Berufung des
Hın, Markgrafen an die Spitze des Mmee-
kerps als einen neuen Zeitabfchnitt, als den
Vorboten einer beffern Zeit begrüßen.

„Möge das reoͤliche Beſtreben, ſich des er-
hahenen Führers würdig zu zeigen, Alle be-
feelen und die Srinnerung an eine Zett uns
begeiſtern, in der ſich unter der Führung des
ruhmgekrönten, leider durch Geſundheitoͤrück-
ſichten der militäriſchen Thaͤtigkeit entzogenen.
Hin. Markgrafen AilhHelm, Sropherzog-
liche Hoheit, die badiſchen Truppen mit Ruhm
und Ehre bedeckt Hatten. }

‚ „Unferm einträchtigen, durch treue Anhäng-
lichkeit an unſern gnaͤdigſten Kriegsherrn und
durch wahre Vaterlandsliebe getragenen feſten
Willen wird es gelingen, die Chre aufs neue
unvergänglich an unfexe Waffen zu feſſeln,
zum Heil unferes Fürſtenhauſes und unſeres
Vaterlandes.“



Feuillet on.

Der Apoſtelhof.
Fortfetzung.)

Die Menge, die im Zelte war, erhob ſich neu-
gierig. Faſt alle Anwefende fragten zugleich:
Wen habt Ihr, Michel? — Erzaͤhlers!

, Mihel Rieg auf einen Tiſch und rief: Den
Sinfenfto® Ha’ j gefangen, eben als er dem
NRath Würfler yen Hals umdrehen wollte!

Leſus 4 rief Tonchen aus.

— ſchrie Annemarthe.
ielt ſie { iſch
4 ſich todtbleich am Tiſch, daß

Hierher! ſchrie jetzt Sickinge aͤchter
zu und Michel 8 * 4* 2
Zählte er alles, wie es ſich begeben, und wie ſein
erſtes Wort geweſen, als er zu ſich gekommen!
Das hat der Anſelm gethan!

— 8 Michel des offenen Pförtchen gedachte,
ſprach er geradezu den Verdacht aus: Annemarthe
habe es aöſichtlich offen gelaffen. Er erzählte Die
Geſchichte mit dem Beitler und dem Briefchen.

Sickingens Auge traf durchbohrend die alte
Sünderin. Da ſank ſie auf die Knie und ſchrie:
Ach, Herr Amtmann, ſeid barmherzig!

Michel, donnerte Sickingen, nehmt das Weib
gefangen!

Ich proteſtire, denn ſie gehört dem Apoſtelhofe
an, erhob Anfelm ſeine Stimme, der durch Frech-
heit ſeine innere Angſt verdecken wollte.

Proteſtirt wo Ihr wollt! Sie iſt pfälziſche
Unterthanin, fagte Sickingen! Dann rief er!
Fort mit ihr!

Herr Amtsfchreiber, nun hat der Spitzbub
Euer ſchoͤnes Koͤnigthum für heute beendet, ſagte
er zu dieſem. Wir müſſen fort.

Noch einmal trat Anfelm zu Sickingen und
ſagte: Herr Auitmann, er iſt in kurkölniſchem
Territorio gefangen worden.

Wollt Zoͤr ihn etwa laufen laſſen? fragte
der Amtmann! Ihr habt als Amtoͤkeller keine
Jurisdietion und verhaltet Euch ſtill! Herr Stadt-
ſchuliheiß redete er Minola an, macht Ihr An-
ſprüche? —

Er iſt geborner Pfälzer, ſagte Diefer, und nun
war alles abgemacht. Die Beamten eilten hin-
über und die Volksmenge folgte, von Neugierde
geſpornt. *

Anſelm wankte im vollſten Sinne des Worts
an Tonchens Seite hin, , Nicht die, NKränkung,
die er ſich zweimal zugezogen, Machte ihn o
tudtbfleich; e8 war anderes&, Hatte nicht Michei
gefagt, daß er alle Schuld auf ihır gehäuft? Es
war alfo von der verſtockten Bosbeit des Men-
ſchen nichts mehr zu erwarten, aißjj daß ev alles
ſagen würde, was er von ihm wußte, und er
ohne Zweifel fchön murgen, vielleicht noch dieſen
Abend gefangen genommen werden würde. So
ſchritt er, Tovesangfl und Qual im Herzen, über
die Schwelle des Ayoftelhofes, die er fo glücklich
einige Stunden früher in der Richtung nach dem
Eiſe überſchritten hatte.

Hier erwartete ihn ein neuer Schrecken.

Der alte Würfler war mit Jacöbchen allein
im Gemach und während er mit ihm plauderte,
leerte er eine Flaſche um die andere, bis das
Maß mehr als um die Hälfte überſchritten war-
Daß Annemarthe nicht bel iom geblieben, das
ärgerte ihn, und heftig aufgeregt von dem Genuß
des vielen und ſchweren Weines mar er eben im
heftigſten Zorn, in den er ſich ſelbſt hineinge-
ſchwaͤtzt Hatte, als plötzlich Flukenſtock hereinſtürzte.
Er wollte auffpringen, ſank aber vor Schrecken
bei dem Gedanken, wehrlos in der Gewalt des

ein Schlag lähmte ihn mit der zerſtoͤrenden Macht,
die diefer geheimnißvollen und räthſelhaften Er-
ſcheinung eigen iſt.

MNiemand ſah naͤch ihn, weil alle mit Finken-
ſtock beſchaͤftigt waren; auch Jacöbchen ſah nicht
nach ihm, denn er war ſchnell in der Nebenſtabe
unter das Bett des Raͤthes gekrochen, als Finken-
ſtock hereinſtürzte und auf den Rath losſprang.

Als Michel ſchon fort war, erkannte Fabian
ſeinen Zuſtand und eilte den Bader Reiter zu
rufen, der zum Glück zu Haus mwar, Cr kam
und ſchlug dem Alten eine Ader — aber der
Tod hatte ſchon ſein Opfer in vollen Beſitz
genommen und alle Berſuche, ihn wieder zu beleben,
blieben erfolglos.

Anſelm ſank faſt zu Boden, als ihm Fabian,
der im Apoſtelhof geblleben war, als ſte Finken-
ſtock nach dem Maͤrktthorthurme gebracht, dieſe
Hiobspoſt mittheille.

Tonchen fühlte zum erſtenmal die Macht der
Gerichte Gottes. Sie faß troſtlos weinend da,
aber ſie ahnte noch nicht, wie entſetzlich die Er-
eigniſſe dieſes Tages in ihr Leben eingreifen follten.


ſtelküfers etwas gelichtet war, ſo dauerte doch der
Tanz ungeſtört fort. Nux Lenchen entſagte der
Luſt! fo oft ſie auch aufgefordert wurde! Der
ım des geliebten Mannes hatte ſie umfangen,
nun follte e8 kein anderer mehr, fo ſtand's in
ihreu Herzen geſchrieben. Wie erſchrak fie, als
die Kunde Fam, der alte Rath ſei todt unter Fin-
kenſtocks Händen.

Mutter, rief ſie tief erſchüttert, nun muß ich
zu Tonchen! Sie iſt unglücklich, da darf iich ſte
nicht verlaſſen-

Geh mit SGott, mein Kind, fagte die Mutter.
Dein Herz lehrt dich das Rechte.

Ste eilte hinüber und an den treuen Buſen
lehnte Tonchen das Haupt. Und heimlich that
ſie in ihrem Schmerz dem treuen Herzen Lenchens
Abbitte. Trauriger war noch kein Abend für
Tonchen gefommen als Ddiejer. Zwar fuchte der
Guardian, der alg treuer Freund zu fr eilte,
ſie zu tröſten, allein es fag eine Ahnung noch
ſchrocklicheren Jammers auf ihrem Herzen mit
niederbeagender Laͤſt! Anfelm faß bei ihv und
hielt ihre Hand.

Deine Haͤnd zittert unaufhörlich, ſagte ſte zu
ihm.

Kann ich gleichgültig bleiben bei ſolchen Ex-
eigniſſen? fragte er mit trübem Blick und ſie
druͤckte innig feine Hand; aber fie wußte nicht,
von wannen dies Zittern und Beben kam.

Gegen acht Uhr, nachdem das Berhör Des
Finfenftock bereits weit gediehen war, rief die
Maqd den Hertn Amtoͤkellner heraus: e8 frage
jemand nach ihm.

Anſelm ſchwindelte, er fühlte es, das Verhäng-
niß nahe! Er wankte hinaus,

Da ſtand Rudolphi vor ihm.

Gönnt mir einige Minuten unter vier Augen,
bat er und beide traten in Anfelms Gemach.

Herr Amtskellner/ ſagte Rudolphi, es thut mir
unendlich leid, aber ich glaubte es der Räckſccht
ſchuldig zu ſein, daß ich Cuch fage! Finkenſtock
hat Dinge gegen Euch ausgefagt, die — Sure
Verhaftung nöthig machen! Ich hoffe, Ihr geht
aus dem Gewebe boshafter Lügen rein hervor;

aber bereitet Tonchen vor, daß nicht der neue,
unerwartete Schlag ſie tödtet.
Anſelm fragte nicht, was Finkenſtock auoͤge-

fagt. Cr taumelte gegen das Fenſter und rief:
Iſt's denn noch nicht genug!

Euer Bewußtſein muß Euch über das alles
erheben, ſagte Rudolphi mit inniger Theilnahme.
Seid Mann! Es thut noth!

Mit dieſen Worten eilte er hinweg.
Anſelm raufte ſich das Haar. D,
(äßt ihr Opfer nicht! rief er. Wer ihr verfallen iſt,
ſucht umſonſt Rettung!

Er eilte die Kaffe aufzuſchließen; ſteckte das
Geld, das darinnen war, zu ſich; Iud beide Pi-
ſtolen ſcharf und barg dieſe In ſeinen Taſchen-
zog einen warmen Rock an und verließ das Haus
in fliegender Haſt.

Drüben im Gemach dachte niemand, was ſich
in Aufelms Zimmer zuͤtrug! Tonchen meinte, er
ordne eins und das andere. Als er aber nach
einer Stunde nicht kam, fandte ſie Jaebbchen, der
weinend am Ofen Fauerte, ihn zu rufen. Cr fand
ihn nicht. Die Magd aber fagte ihm, er ſei dem
Herrn Antsſchreiber nachgeeilt. Das berichtete er.

Der Guardian ſagte: Beruhige Dich, mein
Kind! Er wird wohl dort nöthig fein, wo ſte
das Verhoͤr mit Finkenſtock halten; aber e& kam
keine Ruhe in ihre Bruſt. Eine Angſt, für die
ſie keinen Grund hatte, folterte ſte mit unerträg-
lichen Qualen. ;

So wurde e8 zehn Uhr und mit dem Schlage

Wenn auch die Menge in dem Zelt des Apo-

der Uhr hörte man Leute in den Hof treten.
 
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