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Treiben — ſolite heute in die Welt bin-
ausziehen/ damit ſich im Getümmel des Lebens-
‚in Ddem glänzenden Paris und am königlichen
laͤng hatte er dieſen Lag heimlich herbeigeſehnt
das ſtille väterliche Schloß mit den grauen
düftern. Mauern und Thürmen und den dun,
keln ſchweigenden Wäldern ringsumher hatte
für den feurigen, thatendurſtigen Jüngling den
Zauber verloren, den es einſt auf den Knaben
herbeigekommen war, fiel es ihm ſchwer auf’g
Herz, daß er nun von allem ſcheiden müſſe,
mag die Freude und das Glück ſeines Jugend-
lebens ausgemacht habe und daß er in eine
lungen ſeines Vaters und des Oberſten jevem,
ver Herz und Sinn nicht rein und treu bewahre,
zu einem Abgrund des Verderbens werde.
Die Stimme des Oberſten, Dder von ſeiner
Nichle Helene begleitet in den Schloßhof tat-
weckte ihn endlich aus ſeinen Träumereien. Nur
Muth, mein junger Freund! rief der alte Krie-
ger mit fröhlichent, treuberzigem Ton/ alg er
die wehmüthige Stimmung Adalbert8 geßdbrte.
Wer nicht in den Kampf hinauszieot, kann
nicht als Sieger heimkehren! Es kämpft ſich
zwar ſchlecht gegen taͤnkevolle Höflinge, aber
wenn einem einzigen hunderte nichts anhaben
Lorbeerkranz/ der in offener Feloſchlacht errun-
gen ift! Die unſichere Stimme, mit welcher He-
iene Adalbert begrüßte, verrieth zur Genüge,
daß ihr die nabe Trennung von dem Freunde
der Jugend tiefer zu Herzen gehe als ihrem-
Ohelm/ wiewohl ſie ſich Gewaͤlt anthat, ihren
Sas VBerhältniß Adalberis zu Helenen hatte
ſich im Lauf der Jahre ganz eigenthümlich ge-
ſtaltet. Veiden mar der Plan, den der Graf
und der Oberſt in Betreff ihrer Zukunft ent-
worfen/ ein SGeheimniß geblieben, obgleich die
Mittheilung veffelben ſie ſtcherlich nicht über-
raſcht haben würde, da die unbewußte kindliche
Zuͤneigung allgemach in eine innige Liebe über-
Fegangen war und bereits tiefe Wurzeln in ih-
ren Herzen geſchlagen hatte. So waren ſie
denn bisher in der unbefangenſten Weife wie
Bluͤder und Schweſter mit einander umgegan-
gen und es war ihnen nicht eingefallen Daß
ſemals ein ag kommen fönne, welcher eine
Beränderung diefes Verhältuiſſes heroorzubrin-
gen vermöge! Die Scheideſtunde ſchien e8 jetzt
beiden klar zu machen, was ſie für einander
fühlten.. @ war, al8 ob der bekümmerte,
feuͤchte Blick, mit dem Helene bald den Ju-
gendfreund und bald das Getümmel im Schloß-
hof anſchaute, fragen wollte: Wie kannſt Du
es übers Herz bringen mich zu verlaſſen und
in eine kaite fremde Welt hinausziehen. in der
tauſend Geſahren Deiner harren, in der Dich
liebt - und niemand fo zu lieben ver-
mag, wie ich Dich liebe! Adalbert ſchien den
VBormwurf, welcher in den ſtummen, ſchmerzlichen
Blicken Helenens lag, zu fühlen, denn er trat
auf dieſe zu, ergriff ihre Hand und ſprach:
Man fagt zwar, daß der Zauber der prächtigen
Hauptſtadt viele Herzen bethoͤre und vaß man-
cher, der mit großen Hoffnungen und Erwar-
tungen dorthin gezogen, NIn
fei — mich aber ſoll der Zauber
dfen, Helene,
Crinnerung an unfere frohe Jugendzeit werden
mich allſtund umſchpeben und mich früher oder
ſpaͤter in die Heimath zurückführen. 7
Sein Vaͤter, der waͤhrend dieſer Worte mit
dem alten Gregor, einem langlährigen Die-
nicht verlo-
begleiten follie, herzugetreten mar und dieſelben
vern ommen hatte,. ſchuttelte wehmütbig mit dem
Kopf, gleich als ob er zweifle, daß dasjenige,
was Adalbert ſich als einen Faltsinan gegen
die Gefahren der Hauptſtadt erkoren, dem, letz-
teren wirklihH einen kraftigen Schutz gewähren
werde. Sr faßte ſeinen Sohn ſchweigend hei
der Hand, führte ihn vor das Pottal und ſagte,
invem er auf das Wappen über dem Eingang
deuteie! Stürze Dich muthig ins wilpe Getüm;
mel des Lebeus, Adalbert, denke aber allezeit
an die Worte vort oben, welche Deiner Väter
Babben Jabrhunderte hindurch geziert hahen
uud welche Du vor zwölf Jahren hier an die
alte Mauer ſchriebſt: — dann haſt Du einen
Falisman, der Leib und Seele ſelbſt vor dem
Zauber der Hölle bewahrt! . .
Naͤch diefen Worten winkte er in den Schloß-
hof hinein und ſogleich rollte der mit vier ruͤ⸗
ſtigen Pferden beſpannte Reiſewagen heran.
Als er dieſen noch einmal mit ſpähenden Bli-
en von allen Seiten geprüft hatte, 06 ſeine
Befehle hinfichtlich der Befeſtigung des Gepäcks
auch pünktlich vollzogen ſeien, wandie el ſich
zu Avalbert, ſchloß ihn in maͤchtiger Auftegung
zum letzten Lebewohl in ſeine Arme und lehnte
ves Portal8, während jener von dem Oberſten
ihre Kraft aufbieten mußte, um vdem Schmerz
der Trennung nicht zu erliegen. Tief ergriffen
wandte Adalbert noch einmal den Blick auf ſei-
nen greiſen Vater und auf das ſteinerne Wap-
pen über feinem Haupt — dann fprang er
raſch in den Wagen, Gregor ſchwang ſich hin-
len auf und in der nächſten Secunde ging es
in geſtrecktem Galopp den Schloßberg hinunter.
Die Zuruͤckbleibenden ſchauten dem Wagen
lange nach; als derſelbe aber endlich im Waͤld-
grund jenſeit des Vachs verſchwunden war,
ſchritten ſte durch den eben noch ſo belebten
und jeßt fo verödeten Schtoßhof nach der Ter-
raſſe auf der andern Seite der Burg. Hier
redeten fie noch eine Weile mit einander; dann
gingen der Oberſt und Helene fort und der
alte Graf blieb einſam unter dem hohen Kas
Schloffes regie ſich kein Laut — nur da? Säu-
ſeln des Frühlinsswindes
ten Aeſten, der Geſang der muntern Vögel und
da8 NRaufhen des Waldbachs tief im, Thal
klangen durch die Morgenluft — ſonſt war
alles ſtill ringsum, ſtill wie im Grab-
regungsloſe bange Schweigen wollte dem Gra-
fen das Herz aboͤrücken Er hatte viel Schmerz-
liches im Leben ſtandhaft ertragen — der Ab-
ſchied von dem einzigen Sohn dem letzten fei-
nes Stammes, aber hatte ſein innerſtes Weſen
erfchuͤttert. Das greiſe Haupt auf die Hand
geftüßt und den Blick auf die fernen Dduftums
ſtrom geheftet, der ſich leuchtend durch die grü-
nThalauen vdahinfhlängelte, ſprach er aus
liefſter Seele leife vor ſich hin: Geiſter der
Vaͤlet, waͤcht über meinen Sohn in fremdem
Lande! ; } Ä
Adaͤlbert roͤllte unterdeffen mit luſtigem
Hoͤrnerklang über Berg und Thal. Die Sonne
ſtrahlte hell vom reinen Morgenhimmel heraie-
Zandleute und Hirten, und hoch in den Lüften
jubelten unzählige Lerchen. — Adalbert aber
faß ſtill und in
die lachende Fruhlingswelt Hinein, Sein gan-
verlaffen hatte und e8 däuchte ihm, als fönne
die Häume der heimathlichen Gefilde wieder
umrauſchten und die Bilder ſeiner Jugend wie-
der umringten, Als jedoch die blauen Höben
der Vogeſen hinter ihm verſanken und neue
Berge und neue Fluren vor ſeinen Blicken
auftauchten und alle Luſt des Lenzes mit tau-
— —
ſend Jubelſtimmen auſ ſein junges Herz ein-
ftürznte, Da wand fein Schmerz ſtiller unDd il
fer, und der zauberiſchen Ermwartung, das Wun-
der Curopa's, die prächtige Weltſtadt zU X-
blicken, mußten endlich alle wehmüthigen m:
pfindungen weichen. * —
Am Abend des fünften Reiſetages hielt er
ſeinen Einzug in Baris.
Das Verderbniß des franzoͤſiſchen Hofes
war Dazumal noch nicht fo in die Augen fal-
lend wie in der zweiten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts, wo Ehre, Recht und ſittliche
MWürde verſchollene Begriffe waren und die
Niedertraͤchtigkeit und das Laſter ſich einander
den Rang ſtreitig maͤchten Der Cardinal
Fleury, welcher ſiebzehn Jahre hindurch mit
fliller, ruhiger Kraft das Kuder des Staats
geführt, hatte die Anmaßungen ſchamloſer Höf-
linge, die ſeit dem Tode Ludwigs XIV. von
Fag zu Tag kecker heryorgetteten waren, mög-
lichſt in Schranken gehalten und mit aller Macht
dahin geſtrebt, die tiefen Wunden zu heilen,
welche die finnlofe Regierung des Herzogs von
Orleang8 waͤhtend der Minderjährigkeit Ludwigs
XV. dem Lande geſchlagen hatte. Nach ſeinem
Fod hob die fittenlofe, feile Höflingoſchagr ihr
Haupt zwar wieder frech empor, wagte iedoch
nicht, ſoͤgleich das frühere fluchwürdige Treiben
wieder zu beginnen, Da der König noch eine
Art von Anſehen beſaß und noch nicht der
Selade der hereſchfüchtigen. Marquife von B o m-
yadour geworden war. **—
So groß die Anzahl der Varteien auch war,
welche ſich am Hof feindlich gegenüberſtanden
— in einem Bunkte herrſchte eine wunder-
bare Einigkeit: vom König bis zum unterſten
Yafaien herab war jeder nur darauf bedacht,
fich duͤrch Sinnengenüſſe aller Art für die
Langeweile zu entſchädigen, welche das Hofeere-
montell den Herrn wie dem Diener verurjacdhte.
Manche leiſtelen darin wirklich Erſtaunliches.
Wer ſich erkühnte, nach ſtrengen Orundfägen ,
zu leben, ward entweder verlacht oder bedauert.
(SFortfegung folgt.)
Cauſend Grüße! *)
Wie die Wolken ſtuͤrmend eilen
Ohne Ruhl und ohne Naftz
Ffeilgeſchwind die Luft zertheilen
Voller Ungeduld und Haſt!
— Nehmt mi mit aus dieſen Mauern,
Wo es fchaurig nur und Laltz or
Z Wo nur Schmerz und Kummer lauern,
* Nur das Klirrn der Ketten hallt!
Selbſt die gold'ne Morgenſonne
Bltckt nur ſchüchtern hier herein z
Ach! hier welt ja ntemals /Wonne,
Freude kehret nie Hier ein! — 2
Nein, ſie wollen mich nicht Hören, >
Eilen fort in rafıhem Flug;
Wollen ntmmer wiederkehren
Wo ein Herz voll Kummer Ylg
— Göret noͤch den Wunſch des Armen:
Grüßet fite viel taufend Mal!
- Shr, voll Milde und Erbarmen,
Saget Grüße ohne Zahl! ;
Sagt ihr: wenn {n dunkler Nacht -
Kummer meine Augen ſchlteße
Hab’ ihH immer noch gedact : ß
„ Wolfen, bringt ihr taufend Srüße! ..
Hermann Schulze ·
*
*) Eines Gefangenen cin Bezug auf! Frelherrn
Frtedr. vnd⸗ — — einer Novelle des
VEl }
7
Verantwortlicher Redacteur: 2— *
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Druck und Verlag von G. Reichard.
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Treiben — ſolite heute in die Welt bin-
ausziehen/ damit ſich im Getümmel des Lebens-
‚in Ddem glänzenden Paris und am königlichen
laͤng hatte er dieſen Lag heimlich herbeigeſehnt
das ſtille väterliche Schloß mit den grauen
düftern. Mauern und Thürmen und den dun,
keln ſchweigenden Wäldern ringsumher hatte
für den feurigen, thatendurſtigen Jüngling den
Zauber verloren, den es einſt auf den Knaben
herbeigekommen war, fiel es ihm ſchwer auf’g
Herz, daß er nun von allem ſcheiden müſſe,
mag die Freude und das Glück ſeines Jugend-
lebens ausgemacht habe und daß er in eine
lungen ſeines Vaters und des Oberſten jevem,
ver Herz und Sinn nicht rein und treu bewahre,
zu einem Abgrund des Verderbens werde.
Die Stimme des Oberſten, Dder von ſeiner
Nichle Helene begleitet in den Schloßhof tat-
weckte ihn endlich aus ſeinen Träumereien. Nur
Muth, mein junger Freund! rief der alte Krie-
ger mit fröhlichent, treuberzigem Ton/ alg er
die wehmüthige Stimmung Adalbert8 geßdbrte.
Wer nicht in den Kampf hinauszieot, kann
nicht als Sieger heimkehren! Es kämpft ſich
zwar ſchlecht gegen taͤnkevolle Höflinge, aber
wenn einem einzigen hunderte nichts anhaben
Lorbeerkranz/ der in offener Feloſchlacht errun-
gen ift! Die unſichere Stimme, mit welcher He-
iene Adalbert begrüßte, verrieth zur Genüge,
daß ihr die nabe Trennung von dem Freunde
der Jugend tiefer zu Herzen gehe als ihrem-
Ohelm/ wiewohl ſie ſich Gewaͤlt anthat, ihren
Sas VBerhältniß Adalberis zu Helenen hatte
ſich im Lauf der Jahre ganz eigenthümlich ge-
ſtaltet. Veiden mar der Plan, den der Graf
und der Oberſt in Betreff ihrer Zukunft ent-
worfen/ ein SGeheimniß geblieben, obgleich die
Mittheilung veffelben ſie ſtcherlich nicht über-
raſcht haben würde, da die unbewußte kindliche
Zuͤneigung allgemach in eine innige Liebe über-
Fegangen war und bereits tiefe Wurzeln in ih-
ren Herzen geſchlagen hatte. So waren ſie
denn bisher in der unbefangenſten Weife wie
Bluͤder und Schweſter mit einander umgegan-
gen und es war ihnen nicht eingefallen Daß
ſemals ein ag kommen fönne, welcher eine
Beränderung diefes Verhältuiſſes heroorzubrin-
gen vermöge! Die Scheideſtunde ſchien e8 jetzt
beiden klar zu machen, was ſie für einander
fühlten.. @ war, al8 ob der bekümmerte,
feuͤchte Blick, mit dem Helene bald den Ju-
gendfreund und bald das Getümmel im Schloß-
hof anſchaute, fragen wollte: Wie kannſt Du
es übers Herz bringen mich zu verlaſſen und
in eine kaite fremde Welt hinausziehen. in der
tauſend Geſahren Deiner harren, in der Dich
liebt - und niemand fo zu lieben ver-
mag, wie ich Dich liebe! Adalbert ſchien den
VBormwurf, welcher in den ſtummen, ſchmerzlichen
Blicken Helenens lag, zu fühlen, denn er trat
auf dieſe zu, ergriff ihre Hand und ſprach:
Man fagt zwar, daß der Zauber der prächtigen
Hauptſtadt viele Herzen bethoͤre und vaß man-
cher, der mit großen Hoffnungen und Erwar-
tungen dorthin gezogen, NIn
fei — mich aber ſoll der Zauber
dfen, Helene,
Crinnerung an unfere frohe Jugendzeit werden
mich allſtund umſchpeben und mich früher oder
ſpaͤter in die Heimath zurückführen. 7
Sein Vaͤter, der waͤhrend dieſer Worte mit
dem alten Gregor, einem langlährigen Die-
nicht verlo-
begleiten follie, herzugetreten mar und dieſelben
vern ommen hatte,. ſchuttelte wehmütbig mit dem
Kopf, gleich als ob er zweifle, daß dasjenige,
was Adalbert ſich als einen Faltsinan gegen
die Gefahren der Hauptſtadt erkoren, dem, letz-
teren wirklihH einen kraftigen Schutz gewähren
werde. Sr faßte ſeinen Sohn ſchweigend hei
der Hand, führte ihn vor das Pottal und ſagte,
invem er auf das Wappen über dem Eingang
deuteie! Stürze Dich muthig ins wilpe Getüm;
mel des Lebeus, Adalbert, denke aber allezeit
an die Worte vort oben, welche Deiner Väter
Babben Jabrhunderte hindurch geziert hahen
uud welche Du vor zwölf Jahren hier an die
alte Mauer ſchriebſt: — dann haſt Du einen
Falisman, der Leib und Seele ſelbſt vor dem
Zauber der Hölle bewahrt! . .
Naͤch diefen Worten winkte er in den Schloß-
hof hinein und ſogleich rollte der mit vier ruͤ⸗
ſtigen Pferden beſpannte Reiſewagen heran.
Als er dieſen noch einmal mit ſpähenden Bli-
en von allen Seiten geprüft hatte, 06 ſeine
Befehle hinfichtlich der Befeſtigung des Gepäcks
auch pünktlich vollzogen ſeien, wandie el ſich
zu Avalbert, ſchloß ihn in maͤchtiger Auftegung
zum letzten Lebewohl in ſeine Arme und lehnte
ves Portal8, während jener von dem Oberſten
ihre Kraft aufbieten mußte, um vdem Schmerz
der Trennung nicht zu erliegen. Tief ergriffen
wandte Adalbert noch einmal den Blick auf ſei-
nen greiſen Vater und auf das ſteinerne Wap-
pen über feinem Haupt — dann fprang er
raſch in den Wagen, Gregor ſchwang ſich hin-
len auf und in der nächſten Secunde ging es
in geſtrecktem Galopp den Schloßberg hinunter.
Die Zuruͤckbleibenden ſchauten dem Wagen
lange nach; als derſelbe aber endlich im Waͤld-
grund jenſeit des Vachs verſchwunden war,
ſchritten ſte durch den eben noch ſo belebten
und jeßt fo verödeten Schtoßhof nach der Ter-
raſſe auf der andern Seite der Burg. Hier
redeten fie noch eine Weile mit einander; dann
gingen der Oberſt und Helene fort und der
alte Graf blieb einſam unter dem hohen Kas
Schloffes regie ſich kein Laut — nur da? Säu-
ſeln des Frühlinsswindes
ten Aeſten, der Geſang der muntern Vögel und
da8 NRaufhen des Waldbachs tief im, Thal
klangen durch die Morgenluft — ſonſt war
alles ſtill ringsum, ſtill wie im Grab-
regungsloſe bange Schweigen wollte dem Gra-
fen das Herz aboͤrücken Er hatte viel Schmerz-
liches im Leben ſtandhaft ertragen — der Ab-
ſchied von dem einzigen Sohn dem letzten fei-
nes Stammes, aber hatte ſein innerſtes Weſen
erfchuͤttert. Das greiſe Haupt auf die Hand
geftüßt und den Blick auf die fernen Dduftums
ſtrom geheftet, der ſich leuchtend durch die grü-
nThalauen vdahinfhlängelte, ſprach er aus
liefſter Seele leife vor ſich hin: Geiſter der
Vaͤlet, waͤcht über meinen Sohn in fremdem
Lande! ; } Ä
Adaͤlbert roͤllte unterdeffen mit luſtigem
Hoͤrnerklang über Berg und Thal. Die Sonne
ſtrahlte hell vom reinen Morgenhimmel heraie-
Zandleute und Hirten, und hoch in den Lüften
jubelten unzählige Lerchen. — Adalbert aber
faß ſtill und in
die lachende Fruhlingswelt Hinein, Sein gan-
verlaffen hatte und e8 däuchte ihm, als fönne
die Häume der heimathlichen Gefilde wieder
umrauſchten und die Bilder ſeiner Jugend wie-
der umringten, Als jedoch die blauen Höben
der Vogeſen hinter ihm verſanken und neue
Berge und neue Fluren vor ſeinen Blicken
auftauchten und alle Luſt des Lenzes mit tau-
— —
ſend Jubelſtimmen auſ ſein junges Herz ein-
ftürznte, Da wand fein Schmerz ſtiller unDd il
fer, und der zauberiſchen Ermwartung, das Wun-
der Curopa's, die prächtige Weltſtadt zU X-
blicken, mußten endlich alle wehmüthigen m:
pfindungen weichen. * —
Am Abend des fünften Reiſetages hielt er
ſeinen Einzug in Baris.
Das Verderbniß des franzoͤſiſchen Hofes
war Dazumal noch nicht fo in die Augen fal-
lend wie in der zweiten Hälfte des achtzehnten
Jahrhunderts, wo Ehre, Recht und ſittliche
MWürde verſchollene Begriffe waren und die
Niedertraͤchtigkeit und das Laſter ſich einander
den Rang ſtreitig maͤchten Der Cardinal
Fleury, welcher ſiebzehn Jahre hindurch mit
fliller, ruhiger Kraft das Kuder des Staats
geführt, hatte die Anmaßungen ſchamloſer Höf-
linge, die ſeit dem Tode Ludwigs XIV. von
Fag zu Tag kecker heryorgetteten waren, mög-
lichſt in Schranken gehalten und mit aller Macht
dahin geſtrebt, die tiefen Wunden zu heilen,
welche die finnlofe Regierung des Herzogs von
Orleang8 waͤhtend der Minderjährigkeit Ludwigs
XV. dem Lande geſchlagen hatte. Nach ſeinem
Fod hob die fittenlofe, feile Höflingoſchagr ihr
Haupt zwar wieder frech empor, wagte iedoch
nicht, ſoͤgleich das frühere fluchwürdige Treiben
wieder zu beginnen, Da der König noch eine
Art von Anſehen beſaß und noch nicht der
Selade der hereſchfüchtigen. Marquife von B o m-
yadour geworden war. **—
So groß die Anzahl der Varteien auch war,
welche ſich am Hof feindlich gegenüberſtanden
— in einem Bunkte herrſchte eine wunder-
bare Einigkeit: vom König bis zum unterſten
Yafaien herab war jeder nur darauf bedacht,
fich duͤrch Sinnengenüſſe aller Art für die
Langeweile zu entſchädigen, welche das Hofeere-
montell den Herrn wie dem Diener verurjacdhte.
Manche leiſtelen darin wirklich Erſtaunliches.
Wer ſich erkühnte, nach ſtrengen Orundfägen ,
zu leben, ward entweder verlacht oder bedauert.
(SFortfegung folgt.)
Cauſend Grüße! *)
Wie die Wolken ſtuͤrmend eilen
Ohne Ruhl und ohne Naftz
Ffeilgeſchwind die Luft zertheilen
Voller Ungeduld und Haſt!
— Nehmt mi mit aus dieſen Mauern,
Wo es fchaurig nur und Laltz or
Z Wo nur Schmerz und Kummer lauern,
* Nur das Klirrn der Ketten hallt!
Selbſt die gold'ne Morgenſonne
Bltckt nur ſchüchtern hier herein z
Ach! hier welt ja ntemals /Wonne,
Freude kehret nie Hier ein! — 2
Nein, ſie wollen mich nicht Hören, >
Eilen fort in rafıhem Flug;
Wollen ntmmer wiederkehren
Wo ein Herz voll Kummer Ylg
— Göret noͤch den Wunſch des Armen:
Grüßet fite viel taufend Mal!
- Shr, voll Milde und Erbarmen,
Saget Grüße ohne Zahl! ;
Sagt ihr: wenn {n dunkler Nacht -
Kummer meine Augen ſchlteße
Hab’ ihH immer noch gedact : ß
„ Wolfen, bringt ihr taufend Srüße! ..
Hermann Schulze ·
*
*) Eines Gefangenen cin Bezug auf! Frelherrn
Frtedr. vnd⸗ — — einer Novelle des
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Verantwortlicher Redacteur: 2— *
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Druck und Verlag von G. Reichard.
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