ſchäftigt, ritt er — — weiter und
weiter. Kurz vor Sonnenuntergang langte er
das auf einem ——— Hügel liegende
große Gebäude und das den Fuß des Hügels
umgebende Dorf wenigſtens la Villette fein.
Er ritt in das letztere hinein! Ueberall er-
blickte er nur ärmliche Hütten, aus denen die
Noth und das Elend hervorſchauten — von
den freundlichen Bauerhäuſern inmitten hübſcher
®Särten, von welchen ihm die Marquiſe er-
zählt hatte, mar keine Spur zu ſehen! Rings-
um herrſchte eine traurige Stille — es war,
als ob das ganze Dorf ausgeſtorben ſei.
Adalbert glaubte fehlgeritten zu ſein und
fragte einen zehn- bis zwölfjährigen Knaben,
wie dieſer Ort heiße. — La Villette, war die
Antwort, welcher einige ſcheue Blicke und eine
ſchleunige Flucht folgten! Von einem unan-
genehmen Gefühl ergriffen, lenkte Adalbert in
die breite Pappelallee ein, welche auf die Höhe
des Hügels führte und ſprengte raſch dem
großen Gebäude zu, das auf dem Gipfel lag
und nothwendigerweiſe die Villa der Marquife
ſein mußte. Einige hundert Schritte vor dem-
ſelben hörte die Allee auf und Adalbert fah
ſich ploͤtzlich in einem umfangreichen Garten,
deſſen Einrichtung überall von einſtiger Pracht
zeugte, der aber jetzt furchtbar verwildert und
verödet war. Die Waſſerkünſte waren verſtegt,
die breiten Taxushecken wild und unförmlich
lulporgeſchoffen und die Beete von fußyobem
Uakraut überwuchert, aus deſſen üppigem Grün
einzelne brennendrothe Blumen hervorſchauten.
Die weißen Marmorbilder waren von ihren
Piedeſtalen herabgeworfen, zerbrochen und von
den langen Ranken lülelrit Schling-
pflanzen umwunden; — die Strahlen der Abend-
fonne hüllten die zertümmerten Goͤttergeſtalten
mitleidig in einen goldigen Glanz.
Adalbert band das Pfexrd an eine ſchlaͤnke
befangen langſam die verfallenen und grasbe-
wachſenen Stufen der Treppe hinan, welche zur
großen Eingangethür des Gebäudes emporführte.
Dieſe war feſt verfchloffen, durch einige zer-
brochene Fenſterläden aber konnte er den größ-
ten Theil des Innern überfehen! Alles war
leer und öde! Die Tapeten in den Zimmern
waren zetriſſen und mit Spinngeweben über-
zogen, hin und wieder lag ein zertrümmerter
Tiſch oder Stuhl — alles bot ein Bild der
troſtloſeſten Zerſtörung dar Ringsumher herrſchte
eine Grabesſtille, die nur dann und wann durch
das Fallen eines Blattes oder durch das Ra-
ſcheln einer Eidechſe im duͤrren Laub unter-
brochen wurde.
Adalbert lehnte ſich — und betäubt
von dem, was er gefehen, an eine weinum-
rankte Saͤui des Portieus und ſtarrte mit tie-
fem Weh im Herzen in den verwilderten Gar-
ten hinab, von dem ein kalter Herbſthauch her-
überwehte. Er war ſo voll Freude und Er-
wartung geweſen, hatte ſich der Hoffnung, die
Geliebte zu überraſchen und auf ihrem ſchönen
traulichen Landſitze einige glückliche Tage mit
ihr zu verleben fo begeiſterungsvoll hingegeben
— und nun ſtand er bitter getaͤuſcht, einfam
und verlaſſen in dem öden herbſtlichen *4
auf den ſich die Schatten der Nacht ſchon her-
abſenkten. Hier muß ein trauriges —
walten, ſprach er endlich ſchauernd vor ſich hin,
indem er zu ſeinem Pferd zurückkehrte welches
ungeduldig den Boden ſcharrte. Schon wollte
er den Fuß in den Bügel fegen, da gewahrte
er plötzlich ſeitwärts einen alten Mann, der in
gebückter Stellung auf einer umgeſtürzten Säule
ſaß und regungslos vor ſich hinblickte. Be-
gierig, irgend einen Aufſchluß über die Ver-
oͤdtung dieſes ihm fo reizend geſchilderten Be-
ſitzthums 2 erhalten, eilte Adalbert raſch zu
vem Greis, — ihn * das freundlichſte
und fragte in geſpannter Erwaͤrtuͤng, ob dies
Sut der Marquife v. Nemoulins gehüre. —
„ Der alte Mann richtete ſich bet Adalberts
Worten langfamı empor, fchaute idn mit ver-
wunderten Blicken eine Weile an und erwiderte
mit dumpfer Stimme:
mens! Dies Gut gehört dem Köntg, ſetzte er
nach einer Pauſe hinzu,. indem er wieder {n
feine vorige Stellung zurückftel! — Seid Ihr
deſſen gewiß? fragte Adalbert, Man hat mir
la Villette als ein Beſitzthum der Marquife v.
Remoulins bezeichnet! — Nun, der König
mag’8 wohl einem feiner Hofherren oder einer
ſeiner Lieblingsdamen gefhenkt haben! entgeg-
nete der Greis Höhnifch, vhne Adalbert anzufehen.
Uns armen Teufeln kann das auch ganz gleich-
gültig ſein — wir müſſen für den einen fo
gut arbeiten wie für den andern! — Euch
ſcheint die Noth zu drücken, verſetzte jener mit-
leidig, wodurch ſeid Ihr denn fo arnı gewor-
den? — Der alte Bauer richtete ſein graues
Haupt wieder empor und blickte Adalbert ſchmerz
lich lächelnd an. Sie find kein Franzoſe und
frembd_ in dieſer Gegend, ſehe idh, antwortete
ev, fonft würden Sie ſo nicht fragen , Herr!
Wodurch wir arm geworden ſind? fuͤhr er nach
kurzem Schweigen fort. Dadurch, daß die Her-
ren von der Geiſtlichkeit und vom Adel uns
jeden Sou, den wir uns mit ſaurer Mühe vers
dient haben, abpreſſen nnd am Hofe verſchwel-
gen! Da wir für uns nicht arbeiten können,
ohne die Früchte unſerer Arbeit uns 8
zu feben, und nicht ewig für andere, die nur
der Luſt und Freude nachjagen, arbeiten mö-
gen, ſo laſſen wir e8 ganz fein — der Ge-
duldigſte wirdis endlich müde! Ich habe viel
Gutes und viel Böſes im Leben geſehen, Herr
—- ‚aber ſo bange iſt mir’8 noch nie ums Herz
ſteht! den Ganuner und Menſchenquäler zu ſpie
len, der bringt e8 in Frankreich zu nichts! O
Herr! ich fage Ihnen, die Gaunet und Schufte
haben jetzt wieder glänzende Ausfichten, große
Männer zu werden, fuhr er, ſich von feinem
Sitz erhebend, mit lauter, bößnifcf)et Stimme
forf, Ich glaubte einmal. eine, zeitlang hin-
durch, es mürde beſſer werden — aber feitdem
der Herr Cardinal Fleury die Augen! geſchloſ-
ſen hat, iſt nichts mehr zu hoffen — alles geht
ſchon wieder den alten ®ang. Wozu die Noth
und Verzweiflung zuletzt die Menſchen treiben
wird, — i weiß es nicht; Gott gebe nur,
daß ich bald ins Grab ſinke und das Schlimmſte
nicht mehr erlebe! Die großen Herren am Hofe
haben ſchon von rebelliſchem Volk geredet, wel-
ches feinen rechtmäßigen Gebietern zu trotzen
wagte, fügte er nach einer Pauſe mit milderem
Tone hinzu als er bemerkte, welche tiefe Ein-
drücke ſeine Worte auf Adalbert machten; ich
ſage Ihnen aber, Herr, wollte ſich der König'
nur in etwas des gedrückten Volkes annehmen
und dem Unweſen feiner Hoͤflinge Cinhalt thun,
e8 würde ein Jubel in Frankreich werden wie
er nie erhört worden iſt! Die Kirchen wuͤrden
nicht leer werden von den Schaaren dankbarer,
freudiger Beter, welche tauſendvfachen Seßen
vom Himmel für das Haupt des geliebten Kö-
mir — das Herz will mir brechenwenn ich
mein ſchönes Heimathland anfchaue! -
Adalbert ſtand ſprachles da Jedes Wort
Bruſt! In dem ſtolzen Paris haͤtte er nichts
als Pracht und Herrlichkeit gefehen und nie
die herbe Klage der Noth und des Elends ver-
nommen. Alles waß ſein Vater und der Oberſt
ihm vor Zeiten zürnend von dem Treiben des
Hofes und dem traurigen Zuſtand des Volkes
erzaͤhlt hatten, trat plötzlich wieder hell vor feine
Seele; ‚ e8 war 2 als ſähe er in dem ver-
wilherten wuͤſten Garten und: in dem todten-
ſtillen/ elenden Dorf ein Bild des uͤnglücklichen
Landes! Er bebte bei dem Gedanken, daß die
Marquiſe die Noth und Verzweiflung dieſer
Menſchen mit verſchuldet haben könne und im
Innerſten erſchüttert, drückte er dem Greiſe ſeine
Börſe in die Hand und ſagte: Nehmt dies zur
Abhülfe der erſten Noth, guter Freund! . Ih
kenne die Beſitzerin dieſes Guͤtes ſte hat ein
mitleidiges Herz und wird, fobald ſie Eure
Zürftigkeit erfahren. gewiß alles aufbieten, um
Euch in eine glücklichere Lage, zu verfetzen.
Kommt heute über dret Wochen ‚ zu mir nach
Baris, da follt Ihr mehr von mir empfangen
Nach dieſen Worten bezeichnete er dem. Gretfe
auf das genaueſte ſeine Wohnung in der Haupi-
ſtadt reichte ihın zum Lebewohl die Hand warf
ſich auf ſein Pferd und ſyrengte davon,
Vot Staunen und Freude keines Woͤrtes
mächtig ſtand der alte Mann da und fchaute
ihm nach. Herr Gott! gibt e denn wirklich
noch Menſchen auf der Welt, die ſich des Ar-
men annehmen! ſtieß er endlich Yervor, indem
ſich feine Augen mit Thränen füllten! Mir ift,
als Hätte ich geträumt — aber nein — hier
halt ich ja bie yolle Börfe in der Hand! —
’3 f nicht das Geld; was mih fo_ freubdig
macht, führ er nach einer Baufe fort; fänı
e8 von einen unferer Zuälgeifter, ich mwürf’
e8 von mir — e8 iſt die bezgüd\f'&b«ilnabme
und Liebe des Fremden , Ddie mir das Waſſer
in die Augen treibt! Ich haͤb ihm nicHt einmal
gedanft in meiner Freude — nun, Das taͤßt
ſich nachholen; — jebt aber will ich auch anz
dere Menſchen glücklich maͤchen, fügte er hinzu,
indemt ev mit zitternder Haft dem Dorfe zuz
eilte; e8 iſt das erftemal in meinem Leben daß
ich fremde Noth und fremde Leiden zu lindern
vermag!
Avalbert hatte vor feinem — —
mit dem Greiſe befchleffen die Marquife. auf
allein dag, was er von Ddem alten Landmann
gehört, hatte ihn in eine folde Aufr-gung ver-
ſetzt, Daß er fich dieſes Plans erft erinnerte,
nachdem ev ſchon eine bedeutende Strecke des
nach der Hauptſtadt führenden Weges zurüdge:
legt! So ritt er denn noch in derſelben Nacht
nach Paris zurück und nahm ſich vor, der Mara
quife ohne Rückhalt und Schonung die Klagen
und Vorwürfe des Greiſes zu hinterbringen.
Alle Eine Gedanken drehten ſich um die Er-
lebniſſe jener Abendſtunde die er in Ia Villette
zugebracht das verödete Dorf, ter wuͤſte
Sarten, das verfallene todtenſtilie Haus und
der gramesSbleiche zürnende Oreis8 f{hwebten
fort und fort vor feinen Augen. — Es würde
mich aufs. Tiefſte betrüben, wenn Laura auch
nur im allerentfernteften. Veranlaſſung zu Der
ſprach er finfter bet ſich felbit. Ich würde fie
fortan nicht mehr achten können — ein fühlz
lofes hartes Herz iſt zu allem fähig!
Fortſetzung folgt)
2
Vermiſchtes.
Seit 1783, wo Montgolfier zuerft in
einem Luftballon aufftieg, zählte man in Eu-
ropa 285 Luftfchiffer und Luftſchifferinnen! Die
Zahl der letzteren betrug 33, nämlich 28 Fran-
zöſinnen, 3 Deutſche und 2 Ftalienerinnen.
Neun Luftſchiffer und eine Luftſchifferin (Frau
Blanchard) kamen bei ihren Fahrten ums Le-
hen; der letzte Verunglückte war Lieutenant
Gale (September ——
— — Redaeteur: G, Neichard.
Druck und Verlag von G. Reichard.
<“
weiter. Kurz vor Sonnenuntergang langte er
das auf einem ——— Hügel liegende
große Gebäude und das den Fuß des Hügels
umgebende Dorf wenigſtens la Villette fein.
Er ritt in das letztere hinein! Ueberall er-
blickte er nur ärmliche Hütten, aus denen die
Noth und das Elend hervorſchauten — von
den freundlichen Bauerhäuſern inmitten hübſcher
®Särten, von welchen ihm die Marquiſe er-
zählt hatte, mar keine Spur zu ſehen! Rings-
um herrſchte eine traurige Stille — es war,
als ob das ganze Dorf ausgeſtorben ſei.
Adalbert glaubte fehlgeritten zu ſein und
fragte einen zehn- bis zwölfjährigen Knaben,
wie dieſer Ort heiße. — La Villette, war die
Antwort, welcher einige ſcheue Blicke und eine
ſchleunige Flucht folgten! Von einem unan-
genehmen Gefühl ergriffen, lenkte Adalbert in
die breite Pappelallee ein, welche auf die Höhe
des Hügels führte und ſprengte raſch dem
großen Gebäude zu, das auf dem Gipfel lag
und nothwendigerweiſe die Villa der Marquife
ſein mußte. Einige hundert Schritte vor dem-
ſelben hörte die Allee auf und Adalbert fah
ſich ploͤtzlich in einem umfangreichen Garten,
deſſen Einrichtung überall von einſtiger Pracht
zeugte, der aber jetzt furchtbar verwildert und
verödet war. Die Waſſerkünſte waren verſtegt,
die breiten Taxushecken wild und unförmlich
lulporgeſchoffen und die Beete von fußyobem
Uakraut überwuchert, aus deſſen üppigem Grün
einzelne brennendrothe Blumen hervorſchauten.
Die weißen Marmorbilder waren von ihren
Piedeſtalen herabgeworfen, zerbrochen und von
den langen Ranken lülelrit Schling-
pflanzen umwunden; — die Strahlen der Abend-
fonne hüllten die zertümmerten Goͤttergeſtalten
mitleidig in einen goldigen Glanz.
Adalbert band das Pfexrd an eine ſchlaͤnke
befangen langſam die verfallenen und grasbe-
wachſenen Stufen der Treppe hinan, welche zur
großen Eingangethür des Gebäudes emporführte.
Dieſe war feſt verfchloffen, durch einige zer-
brochene Fenſterläden aber konnte er den größ-
ten Theil des Innern überfehen! Alles war
leer und öde! Die Tapeten in den Zimmern
waren zetriſſen und mit Spinngeweben über-
zogen, hin und wieder lag ein zertrümmerter
Tiſch oder Stuhl — alles bot ein Bild der
troſtloſeſten Zerſtörung dar Ringsumher herrſchte
eine Grabesſtille, die nur dann und wann durch
das Fallen eines Blattes oder durch das Ra-
ſcheln einer Eidechſe im duͤrren Laub unter-
brochen wurde.
Adalbert lehnte ſich — und betäubt
von dem, was er gefehen, an eine weinum-
rankte Saͤui des Portieus und ſtarrte mit tie-
fem Weh im Herzen in den verwilderten Gar-
ten hinab, von dem ein kalter Herbſthauch her-
überwehte. Er war ſo voll Freude und Er-
wartung geweſen, hatte ſich der Hoffnung, die
Geliebte zu überraſchen und auf ihrem ſchönen
traulichen Landſitze einige glückliche Tage mit
ihr zu verleben fo begeiſterungsvoll hingegeben
— und nun ſtand er bitter getaͤuſcht, einfam
und verlaſſen in dem öden herbſtlichen *4
auf den ſich die Schatten der Nacht ſchon her-
abſenkten. Hier muß ein trauriges —
walten, ſprach er endlich ſchauernd vor ſich hin,
indem er zu ſeinem Pferd zurückkehrte welches
ungeduldig den Boden ſcharrte. Schon wollte
er den Fuß in den Bügel fegen, da gewahrte
er plötzlich ſeitwärts einen alten Mann, der in
gebückter Stellung auf einer umgeſtürzten Säule
ſaß und regungslos vor ſich hinblickte. Be-
gierig, irgend einen Aufſchluß über die Ver-
oͤdtung dieſes ihm fo reizend geſchilderten Be-
ſitzthums 2 erhalten, eilte Adalbert raſch zu
vem Greis, — ihn * das freundlichſte
und fragte in geſpannter Erwaͤrtuͤng, ob dies
Sut der Marquife v. Nemoulins gehüre. —
„ Der alte Mann richtete ſich bet Adalberts
Worten langfamı empor, fchaute idn mit ver-
wunderten Blicken eine Weile an und erwiderte
mit dumpfer Stimme:
mens! Dies Gut gehört dem Köntg, ſetzte er
nach einer Pauſe hinzu,. indem er wieder {n
feine vorige Stellung zurückftel! — Seid Ihr
deſſen gewiß? fragte Adalbert, Man hat mir
la Villette als ein Beſitzthum der Marquife v.
Remoulins bezeichnet! — Nun, der König
mag’8 wohl einem feiner Hofherren oder einer
ſeiner Lieblingsdamen gefhenkt haben! entgeg-
nete der Greis Höhnifch, vhne Adalbert anzufehen.
Uns armen Teufeln kann das auch ganz gleich-
gültig ſein — wir müſſen für den einen fo
gut arbeiten wie für den andern! — Euch
ſcheint die Noth zu drücken, verſetzte jener mit-
leidig, wodurch ſeid Ihr denn fo arnı gewor-
den? — Der alte Bauer richtete ſein graues
Haupt wieder empor und blickte Adalbert ſchmerz
lich lächelnd an. Sie find kein Franzoſe und
frembd_ in dieſer Gegend, ſehe idh, antwortete
ev, fonft würden Sie ſo nicht fragen , Herr!
Wodurch wir arm geworden ſind? fuͤhr er nach
kurzem Schweigen fort. Dadurch, daß die Her-
ren von der Geiſtlichkeit und vom Adel uns
jeden Sou, den wir uns mit ſaurer Mühe vers
dient haben, abpreſſen nnd am Hofe verſchwel-
gen! Da wir für uns nicht arbeiten können,
ohne die Früchte unſerer Arbeit uns 8
zu feben, und nicht ewig für andere, die nur
der Luſt und Freude nachjagen, arbeiten mö-
gen, ſo laſſen wir e8 ganz fein — der Ge-
duldigſte wirdis endlich müde! Ich habe viel
Gutes und viel Böſes im Leben geſehen, Herr
—- ‚aber ſo bange iſt mir’8 noch nie ums Herz
ſteht! den Ganuner und Menſchenquäler zu ſpie
len, der bringt e8 in Frankreich zu nichts! O
Herr! ich fage Ihnen, die Gaunet und Schufte
haben jetzt wieder glänzende Ausfichten, große
Männer zu werden, fuhr er, ſich von feinem
Sitz erhebend, mit lauter, bößnifcf)et Stimme
forf, Ich glaubte einmal. eine, zeitlang hin-
durch, es mürde beſſer werden — aber feitdem
der Herr Cardinal Fleury die Augen! geſchloſ-
ſen hat, iſt nichts mehr zu hoffen — alles geht
ſchon wieder den alten ®ang. Wozu die Noth
und Verzweiflung zuletzt die Menſchen treiben
wird, — i weiß es nicht; Gott gebe nur,
daß ich bald ins Grab ſinke und das Schlimmſte
nicht mehr erlebe! Die großen Herren am Hofe
haben ſchon von rebelliſchem Volk geredet, wel-
ches feinen rechtmäßigen Gebietern zu trotzen
wagte, fügte er nach einer Pauſe mit milderem
Tone hinzu als er bemerkte, welche tiefe Ein-
drücke ſeine Worte auf Adalbert machten; ich
ſage Ihnen aber, Herr, wollte ſich der König'
nur in etwas des gedrückten Volkes annehmen
und dem Unweſen feiner Hoͤflinge Cinhalt thun,
e8 würde ein Jubel in Frankreich werden wie
er nie erhört worden iſt! Die Kirchen wuͤrden
nicht leer werden von den Schaaren dankbarer,
freudiger Beter, welche tauſendvfachen Seßen
vom Himmel für das Haupt des geliebten Kö-
mir — das Herz will mir brechenwenn ich
mein ſchönes Heimathland anfchaue! -
Adalbert ſtand ſprachles da Jedes Wort
Bruſt! In dem ſtolzen Paris haͤtte er nichts
als Pracht und Herrlichkeit gefehen und nie
die herbe Klage der Noth und des Elends ver-
nommen. Alles waß ſein Vater und der Oberſt
ihm vor Zeiten zürnend von dem Treiben des
Hofes und dem traurigen Zuſtand des Volkes
erzaͤhlt hatten, trat plötzlich wieder hell vor feine
Seele; ‚ e8 war 2 als ſähe er in dem ver-
wilherten wuͤſten Garten und: in dem todten-
ſtillen/ elenden Dorf ein Bild des uͤnglücklichen
Landes! Er bebte bei dem Gedanken, daß die
Marquiſe die Noth und Verzweiflung dieſer
Menſchen mit verſchuldet haben könne und im
Innerſten erſchüttert, drückte er dem Greiſe ſeine
Börſe in die Hand und ſagte: Nehmt dies zur
Abhülfe der erſten Noth, guter Freund! . Ih
kenne die Beſitzerin dieſes Guͤtes ſte hat ein
mitleidiges Herz und wird, fobald ſie Eure
Zürftigkeit erfahren. gewiß alles aufbieten, um
Euch in eine glücklichere Lage, zu verfetzen.
Kommt heute über dret Wochen ‚ zu mir nach
Baris, da follt Ihr mehr von mir empfangen
Nach dieſen Worten bezeichnete er dem. Gretfe
auf das genaueſte ſeine Wohnung in der Haupi-
ſtadt reichte ihın zum Lebewohl die Hand warf
ſich auf ſein Pferd und ſyrengte davon,
Vot Staunen und Freude keines Woͤrtes
mächtig ſtand der alte Mann da und fchaute
ihm nach. Herr Gott! gibt e denn wirklich
noch Menſchen auf der Welt, die ſich des Ar-
men annehmen! ſtieß er endlich Yervor, indem
ſich feine Augen mit Thränen füllten! Mir ift,
als Hätte ich geträumt — aber nein — hier
halt ich ja bie yolle Börfe in der Hand! —
’3 f nicht das Geld; was mih fo_ freubdig
macht, führ er nach einer Baufe fort; fänı
e8 von einen unferer Zuälgeifter, ich mwürf’
e8 von mir — e8 iſt die bezgüd\f'&b«ilnabme
und Liebe des Fremden , Ddie mir das Waſſer
in die Augen treibt! Ich haͤb ihm nicHt einmal
gedanft in meiner Freude — nun, Das taͤßt
ſich nachholen; — jebt aber will ich auch anz
dere Menſchen glücklich maͤchen, fügte er hinzu,
indemt ev mit zitternder Haft dem Dorfe zuz
eilte; e8 iſt das erftemal in meinem Leben daß
ich fremde Noth und fremde Leiden zu lindern
vermag!
Avalbert hatte vor feinem — —
mit dem Greiſe befchleffen die Marquife. auf
allein dag, was er von Ddem alten Landmann
gehört, hatte ihn in eine folde Aufr-gung ver-
ſetzt, Daß er fich dieſes Plans erft erinnerte,
nachdem ev ſchon eine bedeutende Strecke des
nach der Hauptſtadt führenden Weges zurüdge:
legt! So ritt er denn noch in derſelben Nacht
nach Paris zurück und nahm ſich vor, der Mara
quife ohne Rückhalt und Schonung die Klagen
und Vorwürfe des Greiſes zu hinterbringen.
Alle Eine Gedanken drehten ſich um die Er-
lebniſſe jener Abendſtunde die er in Ia Villette
zugebracht das verödete Dorf, ter wuͤſte
Sarten, das verfallene todtenſtilie Haus und
der gramesSbleiche zürnende Oreis8 f{hwebten
fort und fort vor feinen Augen. — Es würde
mich aufs. Tiefſte betrüben, wenn Laura auch
nur im allerentfernteften. Veranlaſſung zu Der
ſprach er finfter bet ſich felbit. Ich würde fie
fortan nicht mehr achten können — ein fühlz
lofes hartes Herz iſt zu allem fähig!
Fortſetzung folgt)
2
Vermiſchtes.
Seit 1783, wo Montgolfier zuerft in
einem Luftballon aufftieg, zählte man in Eu-
ropa 285 Luftfchiffer und Luftſchifferinnen! Die
Zahl der letzteren betrug 33, nämlich 28 Fran-
zöſinnen, 3 Deutſche und 2 Ftalienerinnen.
Neun Luftſchiffer und eine Luftſchifferin (Frau
Blanchard) kamen bei ihren Fahrten ums Le-
hen; der letzte Verunglückte war Lieutenant
Gale (September ——
— — Redaeteur: G, Neichard.
Druck und Verlag von G. Reichard.
<“