N“ 35.
Freitag, den 19. 8
1852
Ein Eriniinalproceß in Berlin.
Einer der intereffanteſten und merkwuͤrdig-
ſten Criminalproceffe, der zwei Seſſtonen be-
weggenommen, kam Beute am 8 März zum
Aoſchluß! Mit Ausnahme des Proceſfes gegen
Waldeck hat kein nachfolgender, auch nicht der
gegen die Steuerverweigerer, ſo die Aufmerk-
ſamkeit in immer ſteigender Spannung erhal-
ten! Die Anwefenheit der juriſtiſchen und an-
ten Kreisgerichtsfaale zeugte dayon. Die zum
ſpielte in die erſten Nachwehen der Revolution,
und man war 1849 geneigt, als die grauen-
ſie al8 einen Ausläufer der chaotiſchen Wild-
heit! welche die untern Schichten ergriffen, zu
betrachten. Dieß iſt nun nicht der Fall, die
jache, das Dunkel, das noch jetzt darüber ſchwebt,
die künſtlichen Verwickelungen und Epifoden,
die hineinfpielen, ſind aber für ſich ſelbſt für
den Eriminaliſten Pſychologen von gleichem
Für die ganze Proceßgeſchichte ift
in diefem Artikel und in Ihrer Zeitung kein
Platz/ während unſre Localblätter feit acht Ta-
gen täglich mehrere Spalten damit füllen! Der
nene Pitaval wird der geeignete Ort ſeyn, diefe.
neueſte cause celebre voͤllſtändig für das
größere Bublicum aufzunehmen, Indeß ſind
einzelne Züge ſo merkwürdig und in Bezug
auf die neueſte Verbrecherwelt ſo lehrreich, daß
8 angemeffen erſcheint im voraus darauf auf-
1849 fanvden Arbeiter beim Heumachen auf
iner ſchilfigten Wiefe an der Spree bei Charz
lottenburg einen Stock eine Müße und Blut-
ſpuren! Durdy das Röhricht dringend fahen
ſie zu ihrem Entſetzen eine Fopflofe Leiche, und
— flohen, aus Furcht/ daß die Moͤrder dahin-
ter lauern und auf ſie feuern könnten. Am
haltene Anzeige, den Körper, wie er beſchrieben
war, und endlich einige Schritte davon im tie:
ſern Schilfe den Kopf, der wahrſcheinlich an
ven DHaaren, möglicherweife auch mit einem
Stoct dahin gefülendert war. Cin Mord Iag
unzweifelhaft vor, der Kopf war durch zwei
Schüſſe mit Schrot und einer Kugel dermaͤßen
durchſchoſſen! daß er alle Haͤltniß verloren hatte,
er vaͤßte aber zum KRumpf, und die Sach-
verſtändigen ermittelten, daß er von nicht unz
Licht noch vor dem Tode, mit einem ſcharfen
Meſſex abgeſchnitten war. Die Kleidungsſtücke
des Ermordeten gehören nicht zu der unter-
ſten Claſſe des Proletariats.
, So wenig al8 man den Mörver abnte, wußte
Man, wer der Ermordete war! Erſt nach-
dem mehrere Unfchulbige eingezogen waren und
wieder entlaffen werden mußten, glaubte man
8u ermitteln, daß e& die Leiche eines fogenannten
Viehhändlers Ebermann aug dem Mecklenbur-
giſchen feg. Er war zuletzt gereist und geſe
hen worden mir einem fogenannten Holzhaͤnd-
die Unterfuchung eingeleitet ward. Gegen zpei
Jaͤhre fitzt dieſer Mann in Haft, und zeigte
enden, zerſchmetternden Anſptache des öffentli-
Hen Anklägers gegenüber, faſt diefelbe Ruhe
und Gelaſſenheit, die er waͤhrend der gaͤnzen
Zeit zur Schau getragen, ein Dulder, Stoiz
ker, der ſich in das Unvermeidliche fügt, voͤl—
lig unſchuldig iſt, aber bei der Anhäufung un:
glücklicher Umftände ſich darauf gefaßt macht
müffe ſich auf alleS gefaßt machen , und wenn
denn das Schrecklichfte über einen Unſchuldigen
hereinbrechen folle, möchten Richter und Ge-
ſchworne in Erbarmen ſeiner Frau und ſeines
Kindes gedenken, damit ſie durch ihre Mild-
thätigkeit vor einem Act der Verzweiflung be-
wahrt werden! Kein Zittern in der Stimme,
kein Wanken in der Haltung, obwohl er das
konnte.
Dazu eine anſtändige Kleidung, ein ſchwarzer
Rock, ſchwarze Halsbinde mit blendend weißem
Hemdüberſchlag ein ſorgfältig gehaltener ſchwarzer
Kinnbart und ebenſo glatt gefämmte ſchwarze
Kopfhaare; Alles, Sprache, Kletdung, Geſicht,
Haltung, um den Gentleman des Proletartats
ſchend und lauernd auf dem Munde der reden-
den Pexſonen hafteten, unheimlicher Natur. —
Und dieſer Franz Schall iſt einer der berüch-
tigtſten und gefährlichſten Wilddiebe, Schmugg-
ler, Kofferabſchneider, dem man nach der Aus-
ſage älterer Polizeibeamten jede That zukrauen
fann, der mit einem Knittel zwei bewaffnete
Forſtbeamte Überwunden hat und des Mordes
an einem Förſter verdächtig iſt! Die Indieien,
daß er au Ebermanns Mörder gewefen, find
ſo Sringend‘, Daß ſie eine moralifche eberzeu-
mußte das Verfahren vor den Geſchwornen im
Horigen Jahre plötzlich abgebrochen werden, weil
Zweifel hinſichts der Aehnkichkeit der Leiche mit
dem Chermann entftanden. Diefe find durch
die Nachunterſuchung Kbefettigtz bet derſelben
Famen tmmer mehr nene bezüglich Schalls Thä-
terſchaft zur Sprache, zugleich aber ftieg Dder
dringende Berdacht auf, daß hier nicht eine etn-
gelne. Mordthat, fondern eine Complieenſchaft,
vielleicht ein Complott zum Grunde liege.
Ebermann, der Ermoͤrdete, ſo viel iſt gewiß,
war ein eben ſo ſchlimmer, vielleicht ein noch
welt gefährlicherer Menſch, als der Mörder,
Schleichhändler und in Mecklenburg angeſeſſen,
hHatte er an der Grenze eine Jagd nur In der
Abſicht gepachtet, um ſtets bewaffnet erſcheinen
zu dürfen, Wilddieb, Kofferabſchneider, Stra-
Polizei beider Länder zerfallen und verfehmt,
und trieb fich, nach großen Erpeditionen ſüchend
und ſetne Genoſſen yufend, erwartend in Wal-
dern und Straßen um, wenn er nicht im Zucht-
hauſe ſaß. Ein Steckbrief ging mmer hinier
ihm her, und in feiner Heimath konnte er fich
nur des Nachts in ſeine Wohnung zu feinem
Weibe ſchleichen, am Tage war der Wald ſein
Quartier. Hter empfing er ſeine Freunde, er-
theilte Audienzen, ſandte Boten aus, Ein neuer
Robin Hood ſcheint er das Walbleben ſich auch
zur Kurzweil eingerichtet zu Haben, Es ward
in gemüthlichen Kreiſen geplgudert, geraucht, na
der Scheibe geſchoſſen, auch Beſuche der Geltebten
wurden im ſchattigen Grün empfangen. Eber-
Mann, ein großer, ſchöner/ ſtattlicher Mann mit
blondem Bart und blauem Auge, kühn, ja ver-
wWegen, klug ſtolz, ja gebieteriſch, hatte überall
Anhang. In DBerlin, auf den Dörfern, in
Necklenhurg waren zeitliche Geliebte, die alles
für den herrlichen Mann thaten. Ein Aben-
teurer wie er ſagte der Staatsanwalt, muß
überall Geliebte Haben, es gehört zu feinem Me-
tier; ein großer Handelsherr muß überall Nie-
derlagen, Commiſſtonäre haben. Cr hatte aber
auch in Mecklenburg eine junge Gaͤttin, die in
glücklicher Ehe mit ihm gelebt zu haben behauptet
und beim Anblick ſeines blutigen Chemitfetg, ſei-
nes Kiefers und Schädels in Krämpfe ftel,
„Sine feltfame glücliche Che1” Fonnte der Ver-
theidiger mit Necht fagen. Steben Jahre hatte
ſie gebauert, von dieſen ſieben hHatte Ebermann.
ſechs und ein halbes im Zuchthaus verbracht,
in der übrigen Zeit konnte er nur dann und
wann des Naͤchts zu ihr ſchleichen und die
glückliche Gattin mußte einräumen, daß fie thren
Lebensunterhalt nicht von ihrem Mann, ſondern
durch ſich ſelbſt bezog!
Ein Rinaldo ovder ANbälino, erſchien
er zuweilen als Arbeitsmann, zuweilen al8
eleganter Herr, befonders in Berlin. Mecklene
burger Schiffer fahen ihn von ihrem Kahn
au8 an vem {hın verhängnigvollen Tage naͤch
Charlottenburg mit einem andern, wahrſcheinlich
ſeinem Moͤrder Schall, gehen, und riefen ver-
mwundert: ift e8 möglih, der Ebermann läßt
ſich bei hellem Tage fehen!
Ein ſo vonm der Juſtiz verfolgter, gefähr-
licher Verbrecher konnte au feinen Spieß-
geſellen gefährlich werden. Zudem war er
herrſchſüchtig — ein boͤfer Mann, fagt Schall,
zu allem fählg. Endlich hatte er Geld und
Koſtbarkeiten bei &, darunter einen ſchweren
goldenen Stegelring! Die nahe liegende Ver-
muthung iſt, vaß die Spießgefellen ſich feiner
entledigen wollten, Sie Tockten ihn in den
einſamen Ellerbuſch an der Sypree, mwo ein
bekannter Anftand für Wilvdiebe ift, um die
Abends aus der Jungferahaide nach der Syree
laufenden Rehe zu ſchießen! Man lagerte ſtch
unter dem Schatlen der Eller! Die Anklage
erhebt €8, auf verſchiedene Umftände geftuͤtzt,
zur hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit, daß Chermann
auf dem Boden ſchlief, al8 man, ausS den
dicht an ſein Geſicht gehaltenen Doppellaͤufen
eines Jaadgewehrs, ſeinen Kopf zerſchmetterte.
Raſch ward ihm dieſer Kopf dann abge-
ſchnitten und ins Schilf geſchieudert, ebenfo
raſch entkleidete man die Leiche derjenigen Klet-
dungsſtücke die ſeine Perfon verrathen Fonnten
und einen Werth hatten, Auch den fhweren
Siegelring 30g man ab, aber — nicdht Cberz
manng Trauring, Der. zum erften Verräther
ward! Der Trauring ließ ſich allerdings ſchwer
abziehen aber man hätte ja den Finger fo leicht
ahſchneiden können, als e8 mit dem Kopf ge-
fhehen, So wird der ſchlaueſte Verbrecher im
entiHeidenden Augenblick an ſich felbft zum
Berräther. E8 ift hoͤchſt wahrfheinlidh, daß
Schall die Zhat nicht allein begangen, ein eben- ı
fo gefährlicher Mann als er und Ebermann,
Pfeffer, wahrſcheinlich noch mehrere, find Comz
plicen; Beim WMangel an Beweiſen mußte die
Anflage indeß ihre moraliſche Ueberzeugung
gefangen geben, und fih uur gegen Schall
wenden. Cin wunderbarer Zwiſchenfall lieferte
indeß auch Pfeffer in die Hände der Gerechtigkeit.
Als der Verdacht auf Schall fiel, galt e8
der Genoſſenſchaft alle8 aufzubieten, um (bn zu
retten! Nicht aus Liebe, fondern aus Furcht,
holz geben und „pfeifen“ würde; D. H. feine '
Genoſſen angeben. Hier nun waͤhthaft roman-
hafte Cpifoden, Nur zwei will ich erwähnen.
She noch die Leiche beerdigt mar, fand eine
Gerichtscommiffion, die ſich zur Unterfuchung
auf den Morofleck begab, unfern davon ein
gebracht, erklärte fie in den Zeitungen von der
Mordthat gelefen zu haben, und die entfeb:
lichſte Angft hätte ſich ihrer bemächtigt, daß der
Ermordete ihr Mann fet. Sie war die Enke-
lin eines Prediger8, den fie nannte, verhei-
rathet mit einem Schaufpieler Fröhlich, der
letztlich Commiſſtonar geworden. Ihr Mann