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Es wurde vorgeſchlagen, die auf Sonntag an-
gekündigte Vorſtellung der Jungfrau von Or-
leans zu beſuchen, um die Zeit von 5 bis 8
Uhr auszufüllen. Unter dem BHerrſcherſtab
eines Herrn Domeratius trieb ſich dort eine
wandernde Truppe zwiſchen Marburg, Gono-
witz und Cilli herum, die ſich von Beneficien

und Naluralprodukten erhielt, deren Füllhorn
ſich über die geſegnete Steyermark in unermeß-
licher Quantität ergießt, indeß ihr die Geld-
beitraͤge an Einlöſungsſcheinen nur ſehr knapp
zufloſſen, alfo die Caſſen-Ebbe des Direktors
genannt war — Wir Städter, aus dem Weich»
bild der ſteheriſchen Metropolis rümpften ge-
waltig die Raſe, als wir die Lobpreiſung
dieſes Marburger Theaters vernehmen mußten !
Nach unfern Begriffen war die Bühne von
Gratz das Hoͤchſte der Kunſt; wie ſollten wir
uns zur Anſchauung einer wandernden Truppe
herablaſſen, welche das Abonnement in Ku-
furuß, Butter, Obſt, Mehl und Brot eincafſtrte!
— O laffen Sie’8 gut ſein! neulich haben
ſie hier das ſchöne Stück „Parteienwuth“ von
Ziegler aufgeführt, d'rin war Herr NMN. al8
Gottlieb Koke wohl ein Künſtler, der alle Tage
auf dem Burgtheater ſich produciren kann, und
der Oitektor, Herr Domaratius, war in Gratz
ſelbſt viele Jahre lang der Liebling des Publi-
eums! unſer Komiker aber! der braucht nur
die Naſenſpitze aus der Couliſſe zu ſtecken, da
muß jeder laͤchen, er mag wollen oder nicht!“

So erſchallte das Lob einſtimmig aus dem
Munde der Marburger Damen und Herren
und wir ließen uns gern überſtimmen am
Sonntag Abend unſere Muße der Jungfrau
von Orleans in Marburg zu widmen, worin
dieſer Komiker den Bürgermeiſter ven Orleans
ſpielte. — Nun denke ſich der Leſer die Schil-
lerſche Tragoͤdie im Tanzſalon eines Wirthé-
hauſes dritten Ranges, von einer kleinen Truppe
ausgeführt, welche die Elemente zur Darſtellung
von „Evakathel und Schnudy“ enthielt, mit
allem gröblich erfundenen al fresco bekleckſten
Aufputz von Goldpapier und bunter Pappe,
beleuchiet durch einige Oellampen und zwei
an der Seite haͤngenden zweifelhaften Talglichter,
um die Finſterniß zu fehen, in welcher Wein
und Obſt herumgereicht wurde; man denke fich
ein Publicum von Honoratiı ın und Bürgern
ſammt Familien aus der Steet und Umgegend
{n der Vorderreihe; von ſteyeriſchen Bauern,
Hausknechten und Dienſtmädchen im Centrum
des Parterres, umſchwärmt von Studenten,
Canzleiſchreibern, Kellnerinnen und Marqueurs;
man vergeſſe nicht, daß wir alle eben an einer,
von Segen des Herrn ſtrotzenden Tafel dinirt
hatten, und von jenem naſeweiſen Hochmuths-
teufel einer Provinzial-Hauptſtadt beſeſſen waren,
der ſich ſogern das zimperliche Treiben des klei-
nen Staͤdichens zur Zielſcheibe ſeiner Witzeleien
waͤhlt, und mit den Marburger Schönen und
ihre Bühne gerade ſo ſufiſſant und herablaſſend
ſich gerirte, wie allenfalls der Pariſer mit dem
Proolnzler von St. Menehould; und man wird
leicht begreifen, wie ſich uns die vorgeſpiegelte
Tragoͤdie zum unterhaltendſten Luſtſpiel geſtal-
tete.. Doch war es völlig unnöthig ſich Unter-
baltung aug eigener Zuthat zu ſchaffen; ſte
wurde uns von oben herab durch einen Auf-
tritt geboten, der für die deutſche Bühne von
einiger Bedeutung geworden, inſofern dadurch
ein komiſches Talent erſter Gattung erkannt
worden und zur Geltung kam. Ich will ihn
fo dramatiſch als möglich wiedergeben. König
Karl VIL ſteht mit ſeiner Agnes auf der Scene
im erſten Aetz er hat ſo eben die Klagen des
La Hire und Duchatel angehört. Die Bürger


ein an ihrer Spitze eine kleine dicke Figur


zen Talar, welchem man es ſogletch anfah, daß
er aus dem Magazin der Leichenträger geliehen
war; der kleine Dicke wankte vorwärts wie

Einer der nicht feſt auf den Beinen ſtehen kann.
— Der Koͤnig (von Herrn Domaratius
ſelbſt dargeſtellt) wendet ſich voll Guͤte und
würdiger Herablaſſung zu ihm, um ſein An-
liegen zu vernehmen. Alles ſchweigt, alles ift
geſpannt, um die erſten Worte des Buͤrgermei-
ſters von Orleauis nicht zu verlieren, denn er
mar es, deſſen Naſenſpitze ſich nur in den
Couliſſen zeigen durfte, um vom allgemeinen
Lachen angeſteckt zu werden ; er war der Dorf:
barbier Adam; der Staberl von Marburg, bei
dem alle Welt wußte, daß er jede Weinſorte
von Eulenberg bis Marbarg in den kleinſten
Nuancen durch Aug und Naſe allein zu er-
rathen im Stande ſeiz er war es, der nachher
ganz Wien und ganz Deutſchland in demokri-
tiſche Laune verfeßte.

@8 begann nun folgende Seene, zwiſchen
König Karl und dem Bürgermeiſter von Orleans.

Carl. Seid mir willkommen, ihr waͤckern
Bürger von Orleans! ſprecht, was iſt euer
Begehr?

Burgermeiſter (wankt eiwys nach vorne,
ſteht ſich um nach ſeinen zwei Keraden und
ſchweigt).

Carl. D ſeid nicht ſchüchtern, ihr kennt ja
das gute Herz eures Königs: ſptecht frei und
offen! (heimlich zum kleinen Dicken) Na fo reden


Bürgerm. (ſchüttelt ſich wie einer der zu
tief in’8 Glas geſehen, räuspert ſich u. fhweigt).

Carl (etwas ägrirt). Ich fehe es an Curen
Mienen, daß ihr Großes auf dem Herzen tragt,
aber ſagt ſelbſt, — wachſt mir ein Kornfeld
auf flacher Hand, kann ich Armeen aus der
Erde ſtampfen?

Bürgerm. (reißt die Augen weit auf,
blickt zum Himmel, feufzt laut und fchweigt),
Allgemeines Gelächier im Parterre. ]

Carl (tritt ganz naͤhe zu ihm und ſagt
leiſe): Sie ſind wieder hef—, Sie Sch —5!
Claut und fehr gütig): Ihr verflummt, gute
Bürger von OYrleans! und i moͤchte jo gerne
euch helfen! (leiſe) Wenn Sie nicht reden kön-
nen, ſo ſcheren Sie ſich zum Teufel!

Bürgerm. (wankt einen Schritt voxwärts
und ſagt): Br! Brl

Carl. Ha! ich verſteh Euch! Sprecht nur,
und alles i Cuch gerne gewährt!

Bürgerm, (fält vor dem Koͤnig ploͤßzlich
auf beide Kniee und fagt in gereiztem Tone
ſehr laut): „Na! fo zahlen Sie uns die rück-


Ein Höllenlärm des ſchallendſten Gelächters
übrrtäubte jedes weitere Wort! Der Buͤrger-
meiſter mit ſeinen beiden ſchwarzen Geſellen
ziehen ab, das Juͤbeln des Parterres nimmt
kein Ende, der Vothang fällt, und wir eilen
auf die Bühne, um die Bekanntſchaft dieſes
braven Bürgermeiſters zu machen, den wir auch
ſofort in unſrer Geſellſchaft behielten bis zum
fruͤhen Morgen,

Fünf Jahre ſpäter unterhielt ich mich mit
dem Director des ſtaͤndiſchen Theaters zu Oraß,
Herrn Baron von Born, im Hotel „zum
wilden Mann“. Er klagte unter andern feine
Noth, weil ihm ein guier Komiker fehle, der
doch an einem ‚Öfterreihifhen Provinztheater
die Baͤſis des Theaters . bilve, u. Ddal. Wir
rathſchlagten über einen Erfaß, und discutirten
über das Komiſche und über den Orund,
marum das eigentliche unwillkürliche Lachen ein
willkürliches naturwüchſiges Talent bedinge,
warum alles Foreirte, alles Gemachte in diefem
Fache nur Widerwillen errege! Im Laufe
dieſes Geſprächs geſellte ſich Herr Kollmann
zu uns, der Redacteur des -Aufmerkſamen?
und Seriptor am Johanneum.
ihnen dieſe von mir erlebte Scene im Iheater
zu Marburg aus meinen Studentenjahren fo
dramatiſch als möglich, Beide waren Über
dieſen Auftritt ſo überrafcht und entzückt, daß
Hr. v. B. andern Tages ſofort nach Marburg

und Silt abreifte, um den dicken kleinen Bür-
germeiſter auszukundſchaften. Und er fand ihn;
er fand ihn ſchlummerndein der Ecke einer
kleinen Stube auf Kohlkoͤpfen und Aepfeln,
Einem Antheil an der Einnahme, mit feinen
Kindern, während der Abendämmerung des
November Monats 1819. Cr nahn ihn ſo-
gleich mit ſich nach Gratz, mo er als Staberl
debütirte, und Kollmann zuerſt auf dies urs
ſprüngliche wahrhafte Talent in feinem Blätts
chen aufmerkſam machte ,' „welches unfehlbar
noch eine große Carriere in der Theaterwelt
würde.“ Und Herr Kollmann haͤtte ſich nicht
geirrt, denn es ift jener Kunſtler S— über
den die gaͤnze Welt ſeit 32 Jahren nolens
volens lachen muß, dem Wien die heuerſten
Stunden des Lebens vankt, vem Muͤnchen-
Frankfurt, Hamburg, Berlin Beifall zujauchzte!

Bunt es.

— aus Paris vom 11. Dec. : In
einem Magazine der Rue Vivienne {ft ein Son-
nenſchirm znogeſtelt⸗ der einft der Frau von Pom-
hadour geboͤrte Dieſer Schirm {f reich gefickt
und mit den foftbarften Spigen verfehen. Noc
jetzt hat er einen Werth von 10,900 Franken. . Wieg
e8 heißt, ſoll er von einer reichen Engländerin an
gefauft worden fein, die in nächften Sommer
kragen will. Wie weit jetzt in Paris der Schwins
del getrieben wird, nicht allein an der Börfe,
ſondern auch in der Zandelewelt, beweift die Ab-
reife von 12 fungen Mäschen nach Konfkantinovel.
Vier große Parifer Mode-SGefchäfte haben fich nämt»
lich vereinigt, obige Damen equipirt, reichlich mit
Geld verſehen und ſie unter dem Oberbefehl eines
herabgekonimenen Lions nach Konftantinopel . ge-
fandt, um dort zu Gunßen der fraͤnzoſifchen Mox
den Propaganda zu madhen.

.. Unglaublih iſt e8, wie in Paris die Hän
fermiethe ſteigt! An der Ecke der Rue Vivienne,
am Vörſenplatze, mußte ein Haus des Alignements
wegen abgebroͤchen werden, deſſen Erdgefchoß ein
Kaffeewirth inne hatte, weidem der Eigenthümer
für die Zeit des Umbaues eine Entfchävigung von
40,000 Sr. zahlte. Ein Schneider fand die Stelle
geeignet zu einem SMeiver-Magazine , Ließ f mit
dem Kafftewirth in Unterhanstung sin unD Eſtund
ven demſelben das Pachtrecht ‘ gegen 40000 Fr.,
fo bdaß der Kaffeewirth ſich ein Vermögen von
80,000 $r. machte obne zu wiffen, wie. Das
Haus ift jeßt unter dem Namen Palais de Cristal
ein reich ausgeſtatteter Kleider· Bazar.

Aus dem Hafen von Liverpool find m
vorizen Monat. 36 Auswanderer-Schiffe mit 12,188
Seelen an Bord theils nach Amerika, Iheilg nach
Anſtralien abgegangenz im Dctober 42 Schiffe


mit 17,243 Cmigrantien. Aus dem MNMegierungs-
Depot in Birkenhead wurden vom 20. Fannar
52 big 1. December ungefahr 15,000 Seelen auf
36 Schiffen nach Auftralien befördert. Vor Neue
jahr ſollen noch 3 Regierungsſchiffe mit 900 Emt«
granten abgehen. .

.. In Magdeburg erxiſtiren 93 Vereine und
geſchloſſene Geſellſchaften, von denen faſt die Haͤlfte
den geſelligen Vergnuͤgungen, beſonders der Hand-
werker Claſſe, gewidmet iſt. Viele dieſer kehteren
Geſellſchaften führen die abenteuerlichſten Namen
und find im Grunde weiter nichts, als Erfinduns
gen induſtribſer Beſitzer öffentlicher Etablifements,
die irgend einen Namen bervorſuchen als Colleetiv-
Sirma für die ſie beſuchenden Gäße, um dadurch
einer ſtrengeren voliceilichen Controle der bei ihnen
Statt findenden Tanz-Vergnügungen zu entgehen.
Muſikgliſchen Zwecken find 18, Jwiſfenſchaftlichen
und Wohlthätigkeits Zwecken aber 23 Vereine ges
widmet.

Auf der Strecke ven Karlsburg bis M.
Vaſarhelhyund von Medtafcdh bis Thorda
wurde vor einiger Zeit Nachmittagg eine auffals
lende Lichterfchetnung beobachtet, die ſich ge-
gen die Erdoberfläche bewegte! Der Richter von
Fekete war eben in einem Kahne mit Fiſchen be-
ſchäftigt, als er plötzlich ober feinem Koyfe einen
feurigen Körver fah, der 30 Schritte entfernt von
ihm ing Wafſer fiel, fo daß dasfelbe über Manz
neghöhe emporfprißte. Dergleichen Meteorſteine
find in der dortigen Gegend fehr viele gefaYen,
die Bauern haben bis jeßt 30 derfelben eingefant-
melt und den nächſten Geiſtlichen und Gaͤtsbeſitzern
übergeben. Die Steine find im Gewichte von %,
bis 10 Dfund, und das Eigenthümliche verfelben
iſt daß ſte ganz fhmwarz find und weiße Fleden has
ben an diefen Flecken geben ſie am Stahle Feuer-
funfen von ſich.

Redigtrt unter Verantwortlichkeit von. G. Keichard. ;

Druck und Verlag von G. Reich ard.
 
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