20 Philologie und Mythologie
mit der Richtung zuſammen, den die geſammte neuere Bil—
dung genommen hatte. In der Mythik bildet dieſe vernich—
tende Stimmung den ſchaͤrfſten Gegenſatz gegen die, welche
in der ſpaͤteren Alexandriniſchen und in der Roͤmiſchen Periode
als herrſchend nachgewieſen worden. Dort fuͤhrte die Liebe
zu ſymboliſcher Bedeutſamkeit und Myſtik bis zum gaͤnzlichen
Verkennen des Weſens alt-claſſiſcher Poeſie, hier uͤberſieht
man uͤber dem Auſchauen der claſſiſchen Mythenwelt die ganze
andere Hemiſphaͤre der Symbolik und theologiſchen Geheim—
lehre, oder erklaͤrt, wo man ſie nicht ignoriren kann, die
Ideen derſelben fuͤr ſchwaͤrmeriſche Productionen einer ſpaͤtern
Entartung.
Hieraus ergibt ſich alſo das gegenwaͤrtige Ver—
hältniß der Philologie zur Mythik, nnd Hiernach
beſtimmen ſich die Forderungen, die letztere an erſtere zu
machen berechtigt iſt. Hat uns die Philologie dadurch Dienſte
gethan, daß ſie uns manchem lang gehegten Wahn entweder
gaͤnzlich entnommen, oder ihn doch erſchuͤttert hat, hat ſie mit
eritiſcher Schaͤrfe Unaͤchtes vom Aechten geſondert, hat ſie die
richtige Auslegung der Urkunden des geſammten Alterthums
und alſo auch des Mythos gezeigt: nun ſo gedenke ſie doch
auch einmal, wie viel ſie uns zu geben hat; ſie verhelfe uns
zu gewuͤnſchtem Beſitze, ſie bringe hervor, was wir beduͤrfen,
und woran wir durch ihre Schuld verarmt ſind.
Wie koͤnnte aber die Philologie hervorbringen, ‚fie die,
ihrer Natur nach, nicht productiv iſt? Dadurch daß ſie repro—
ducirt. Sie ziehe hervor, was im Dunkel liegt, oder abſicht⸗
lich hinein geſtellt worden, ſie ordne Zerſtreutes zuſammen,
ſie ſuche verborgenere Quellen, als die ſind, die jeder, auch
"nur mäßig Bewanderte ſindet. Bringt ſie auf dieſe Weiſe
einen großen, inhaltsreichen Vorrath neu unter die Pfleger
der Wiſſenſchaften und unter die Denker in der Nation, ſo
gibt fie wirklich, und if fruchtbar. Denn was Niemand
oder doch die Meißen nicht mehr wiſſen, iſt nicht da, und
wer es wieder findet, und zum Semeingut beytragt, dem
mit der Richtung zuſammen, den die geſammte neuere Bil—
dung genommen hatte. In der Mythik bildet dieſe vernich—
tende Stimmung den ſchaͤrfſten Gegenſatz gegen die, welche
in der ſpaͤteren Alexandriniſchen und in der Roͤmiſchen Periode
als herrſchend nachgewieſen worden. Dort fuͤhrte die Liebe
zu ſymboliſcher Bedeutſamkeit und Myſtik bis zum gaͤnzlichen
Verkennen des Weſens alt-claſſiſcher Poeſie, hier uͤberſieht
man uͤber dem Auſchauen der claſſiſchen Mythenwelt die ganze
andere Hemiſphaͤre der Symbolik und theologiſchen Geheim—
lehre, oder erklaͤrt, wo man ſie nicht ignoriren kann, die
Ideen derſelben fuͤr ſchwaͤrmeriſche Productionen einer ſpaͤtern
Entartung.
Hieraus ergibt ſich alſo das gegenwaͤrtige Ver—
hältniß der Philologie zur Mythik, nnd Hiernach
beſtimmen ſich die Forderungen, die letztere an erſtere zu
machen berechtigt iſt. Hat uns die Philologie dadurch Dienſte
gethan, daß ſie uns manchem lang gehegten Wahn entweder
gaͤnzlich entnommen, oder ihn doch erſchuͤttert hat, hat ſie mit
eritiſcher Schaͤrfe Unaͤchtes vom Aechten geſondert, hat ſie die
richtige Auslegung der Urkunden des geſammten Alterthums
und alſo auch des Mythos gezeigt: nun ſo gedenke ſie doch
auch einmal, wie viel ſie uns zu geben hat; ſie verhelfe uns
zu gewuͤnſchtem Beſitze, ſie bringe hervor, was wir beduͤrfen,
und woran wir durch ihre Schuld verarmt ſind.
Wie koͤnnte aber die Philologie hervorbringen, ‚fie die,
ihrer Natur nach, nicht productiv iſt? Dadurch daß ſie repro—
ducirt. Sie ziehe hervor, was im Dunkel liegt, oder abſicht⸗
lich hinein geſtellt worden, ſie ordne Zerſtreutes zuſammen,
ſie ſuche verborgenere Quellen, als die ſind, die jeder, auch
"nur mäßig Bewanderte ſindet. Bringt ſie auf dieſe Weiſe
einen großen, inhaltsreichen Vorrath neu unter die Pfleger
der Wiſſenſchaften und unter die Denker in der Nation, ſo
gibt fie wirklich, und if fruchtbar. Denn was Niemand
oder doch die Meißen nicht mehr wiſſen, iſt nicht da, und
wer es wieder findet, und zum Semeingut beytragt, dem