172 ; Goͤthes Werke.
ſche Vielſeitigkeit nach dem aͤußern Vielerlei iſt vielleicht,
wenigſtens für Deutfchland, das einzige Allgemeine diejer ge
fellfichaftlichen Bildung, die übrigens viel Willkührliches, hat,
und größtentheilg auf der Meinung beruht; und mer hat
* nicht irgend einen großen oder Heinen Cirkel gefehen, der fich
durch eine gegenſeitige, ſtillſchweigende Verabredung, und
gleichſam harmoniſche Einbildung vollkommen überzeugt Hatte,
er fey einer der Hauptmittelpuncte der großen Welt, während
andre vielleicht noch fogar den Adel der Sitte vermißten, der
eine Geſellſchaft erſt zur guten macht!
Doch wir fuͤrchten den Leſer durch dieſe Ausfuͤhrlichkeit
zu ermuͤden, und wir wuͤrden ſie uns kaum erlaubt haben,
wenn nicht einer Seits von einem Mißverſtaͤndniß die Rede
waͤre, was ganz geeignet iſt, bey der juͤngern Welt den Geiſt
einer falſchen Vielſeitigkeit und des eingebildeten Scheins zu
erregen und andrer Seits von dem innerſten Zuſammenhan—
ge und der eigentlichen Einheit eines ſo wichtigen Werks als
das vorliegende. Wir glauben aber wenigſtens das Reſultat
unſerer Zweifel mit vollkommner Deutlichkeit in eine Bemer—
fung zuſammen faſſen zu koͤnnen, wenn es uns vergoͤnnt iſt,
einen Wink, der in dem Werke ſelbſt vorkommt, dazu zu be—
nutzen: haͤtte es dem Verfaſſer gefallen, Lothario's Lehr—
jahre, deren im Vorbeygehen als eines vorhandnen Manu—
ſeripts erwaͤhnt wird, dem Meiſter einzuverleiben, oder als
Fortſetzung darauf folgen zu laſſen, ſo wuͤrde aller Mißverſtand
und damit wahrſcheinlich auch aller Tadel, weggefallen ſeyn;
denn das iſt der einzige Einwurf, den die Unzufriedenen mit ei—
nigem Schein gegen dieſes Werk machen koͤnnen, daß es ſeinen
eignen Hauptbegriff nicht ganz vollſtaͤndig ausſpricht und ent—
faltet. An einem Charakter wie Lothario, wuͤrde ſichs, wie
an einem kraftvollen und reichen Beyſpiele erſt zeigen, ob es
neben den Lehrjahren des Kuͤnſtlers, auch noch Lehrjahre
des Menſchen, eine Kunſt zu leben, und eine Bildung zu
dieſer Kunſt geben koͤnne, in dem Sinn, den dieſe Begriffe bey
dem Verfaſſer haben, welcher Sinn an der Bi dildungsgeſchichte der
ſche Vielſeitigkeit nach dem aͤußern Vielerlei iſt vielleicht,
wenigſtens für Deutfchland, das einzige Allgemeine diejer ge
fellfichaftlichen Bildung, die übrigens viel Willkührliches, hat,
und größtentheilg auf der Meinung beruht; und mer hat
* nicht irgend einen großen oder Heinen Cirkel gefehen, der fich
durch eine gegenſeitige, ſtillſchweigende Verabredung, und
gleichſam harmoniſche Einbildung vollkommen überzeugt Hatte,
er fey einer der Hauptmittelpuncte der großen Welt, während
andre vielleicht noch fogar den Adel der Sitte vermißten, der
eine Geſellſchaft erſt zur guten macht!
Doch wir fuͤrchten den Leſer durch dieſe Ausfuͤhrlichkeit
zu ermuͤden, und wir wuͤrden ſie uns kaum erlaubt haben,
wenn nicht einer Seits von einem Mißverſtaͤndniß die Rede
waͤre, was ganz geeignet iſt, bey der juͤngern Welt den Geiſt
einer falſchen Vielſeitigkeit und des eingebildeten Scheins zu
erregen und andrer Seits von dem innerſten Zuſammenhan—
ge und der eigentlichen Einheit eines ſo wichtigen Werks als
das vorliegende. Wir glauben aber wenigſtens das Reſultat
unſerer Zweifel mit vollkommner Deutlichkeit in eine Bemer—
fung zuſammen faſſen zu koͤnnen, wenn es uns vergoͤnnt iſt,
einen Wink, der in dem Werke ſelbſt vorkommt, dazu zu be—
nutzen: haͤtte es dem Verfaſſer gefallen, Lothario's Lehr—
jahre, deren im Vorbeygehen als eines vorhandnen Manu—
ſeripts erwaͤhnt wird, dem Meiſter einzuverleiben, oder als
Fortſetzung darauf folgen zu laſſen, ſo wuͤrde aller Mißverſtand
und damit wahrſcheinlich auch aller Tadel, weggefallen ſeyn;
denn das iſt der einzige Einwurf, den die Unzufriedenen mit ei—
nigem Schein gegen dieſes Werk machen koͤnnen, daß es ſeinen
eignen Hauptbegriff nicht ganz vollſtaͤndig ausſpricht und ent—
faltet. An einem Charakter wie Lothario, wuͤrde ſichs, wie
an einem kraftvollen und reichen Beyſpiele erſt zeigen, ob es
neben den Lehrjahren des Kuͤnſtlers, auch noch Lehrjahre
des Menſchen, eine Kunſt zu leben, und eine Bildung zu
dieſer Kunſt geben koͤnne, in dem Sinn, den dieſe Begriffe bey
dem Verfaſſer haben, welcher Sinn an der Bi dildungsgeſchichte der