Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Jahrbücher der Literatur — 49,1.1856

DOI Heft:
Nr. 9
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44393#0138
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
132

Schaller: Leib und Seele.

Materialismus vor, dass dieser zwar von „einer bestimmten Ver-
wendung“, von „einer eigenthümlichen Combination“ der Stoffe p. 148,
von durch bestimmte Bedingungen hervorgerufenen und fortwährend
sich an diese anlehnenden Erscheinungen der allgemeinen Kräfte
und Gesetze rede p. 151. Aber „welches die Bedingungen seien,
welche diese Modifikationen herbeiführen“ p. 154, darüber wisse er
keine Auskunft zu geben; ja er bringe sich die grundwichtigste
Frage: welche Kräfte den unorganischen Stoffen die Form und Eigen-
schaften des Organismus mittheilen, gar nicht einmal zum Bewusst-
sein. „So weit für jetzt unsere Wissenschaft reiche, sei der orga-
nische Process selbst die nothwendige Bedingung, sollen organische
Formen entstehen.“ „Sobald wir aber eben diese Bedingung den
allgemeinen mechanischen und chemischen Gesetzen hinzufügen,
sobald vtir also behaupten: die organischen Erscheinungen seien
nichts anderes als die nothwendigen Wirkungen jener Gesetze, je-
doch modificirt durch den Umstand, dass sich diese Wirkungen an
einen bereits vorhandenen organischen Keim anlegen, so werde da-
mit die ganze physikalische Erklärung des Organismus zu einer Illu-
sion. Es sei gerade so viel, als wenn wir sagten: alle Erscheinun-
gen des Organismus seien das Produkt der allgemeinen unorgani-
schen Kräfte, nur er selbst nicht. Könne der Organismus entstehen,
sich fortbilden, also überhaupt leben, existiren, nur unter der Voraus-
setzung des schon existirenden organischen Processes, so heisse dies
nichts Anderes als: er habe sich selbst zur Bedingung, er sei, trotz
aller Abhängigkeit von aussen, doch ein selbstständiges, nur vom
organischen Process producirtes, also von jedem unorganischen Pro-
dukt specifisch verschiedenes Wesen.“ Die ganze Untersuchung con-
centrirt sich desshalb nach p. 158 in die Fragen: „Dehnen sich die
möglichen Effekte der physikalischen Processe so weit aus, dass
sie bis zur Produktion eines in sich untheilbaren, sich
selbst gestaltenden Ganzen hinaufreichen“ ; „oder behaupten
wir vielmehr, dass der Organismus eben darum, weil er nur ein
Produkt jener Processe sei, auch nicht als ein solches Ganzes an-
gesehen werden dürfe?“ Schaller hat diese Frage zwar sehr be-
stimmt gestellt, sie aber nicht ebenso scharf durchgeführt. Er hätte
den Gegensatz des idealistischen Naturalismus lind des chemischen
Materialismus genau festzustellen gehabt. Beide müssen den Orga-
nismus anerkennen; es frägt sich nur: müssen sie ihn für das Pro-
dukt einer selbstständigen, ideellen, organisirenden Lebenskraft an-
sehen, oder nicht?
Statt nun dem Materialismus gegenüber die absolute Nothwen-
digkeit einer ideellen, sich selbst gestaltenden, organischen Lebens-
kraft induktiv zu begründen und die gegentheilige Ansicht als falsch
zu beweisen, weist Sch. bloss auf die Thatsachen des Lebens hin.
Er behält in seiner Argumentation dem schroffen Materialismus ge-
genüber vollkommen Recht, da derselbe alle diese Punkte in seiner
Metaphysik gar nicht berücksichtigt. Allein nicht ist damit schon
 
Annotationen