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Heidelberger Jahrbücher der Literatur — 62,2.1869

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Nr. 49
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https://doi.org/10.11588/diglit.51354#0301
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Milow: Ein Lied der Menschheit. 781
verfolgende Blick nach Afrika. Das geheimnissvolle Land der Pyra-
miden und Hieroglyphen wird betreten. Treffend wird die Natur
des schönen Nilthales geschildert. Wie schön sagt unser Dichter,
nachdem er die Pflanzen- und Thierwelt gezeichnet, von den alten
Bewohnern dieses Landes S. 20 :
Und auch die Menschen schleichen sacht,
Wie halb erst aus dem Schlaf erwacht,
Und noch von einem Traum befangen,
Dem Rätbsel, welchem sie entsprangen.
Sie sinnen nun zurück und sinnen
Und können sich nicht auf den Traum besinnen.
Gott, Mensch und Thier in Eins zerflossen
Erschaut ihr rastlos grübelnder Geist
Und formt sie in mächtigen Steinkolossen,
Die mühsam er den Bergen entreisst;
Hochragend aus dem weiten Plan
Schau’n ernst die steinernen Bilder uns an,
Dass wir nur zagend näher uns trauen:
Hier widderköpfige schlanke Frauen,
Dort frauenköpfige Löwengestalten,
Die stumme Wacht an Gräbern halten.
Wo Isis geirrt im Palmenschatten
Und bang geweint um ihren Gatten,
Da schreiten ihre Priester gebückt,
In sinnender Andacht still verzückt,
Und deuten und hüten der Göttin Lehre,
Dass sie kein Ungeweihter versehre.
Vom Pyramidenbau heisst es:
Man thürmet — Staub zu Pyramiden,
Zu fesseln die Ewigkeit hienieden;
Und all die Male, weit und breit
Sind Schreie nach Unsterblichkeit,
Die Körper geworden —. Stund um Stunde
Fällt bröckelnd die Antwort nieder zum Grunde.
Ueber’s Meer geht es, und das herrliche Griechenland thut sich
auf, mit seiner glücklichen Natur, seinem freien schaffenden Leben,
seinem Götterhimmel, seiner Wissenschaft und Kunst, seinem rein
menschlichen Schönheits- und Freiheitsgefühle.
Hier ist gebannt die Barbarei,
Der wüste Streit in tollem Geschrei,
Doch auch das fanatische Gottessehnen;
Nicht ringt der Mensch in ewigen Thränen
Zum Himmel empor mit banger Geberde,
Er zieht die Götter herab zur Erde;
 
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