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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — N.F..1925

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Curtius, Ludwig: Franz Boll: Gedächtnisrede gehalten in der Heidelberger Vereinigung der Freunde des humanistischen Gymnasiums
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https://doi.org/10.11588/diglit.31583#0008
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Ludwig Curtius

religiöse Entscheidungen frühe an ihn herangetreten. Er war kein
Alystiker und hieit darauf, gegen alle modernen Neukreuzer und
Sterndeuter reinlich seine Grenze abzustecken. Aber daß er selber
auf neuen Wegen in den Bereich E. Rohdes, Useners und A. Die-
terichs einmündete, das war doch eine Führung seiner Natur nach
dern Worte Lagardes, ,,Religion hat, wer Religion sucht". Ihn
lockt der unermeßliche dichterische Zauber antiker Religiosität, aber
das kritisch rationale Element ist in ihm stärker. Er wurde in der
kathoiischen Umgebung eine eigentiich protestantische Natur. Das
immer neue Protestieren im Sinne der Mahnung Goethes gehörte
zu seinem Wesen und zu seiner tiefgütigen Liebenswürdigkeit auch
der Zorn. Nicht nur jener, mit dem er in jungen Jahren Leitartikei
in den Münchener Neuesten gegen Wiiheim II. schrieb, sondern
auch die Mannhaftigkeit, mit der er alle Angriffe auf die Freiheit
der Universitäten, und den modernen Pöbelgeist in seinem Kampfe
gegen die Tradition unserer höheren Bildungsanstalten abwehrte.
Boli hat in seinen Aiünchener und Berliner Studentenjahren
außer der eigentlichen philologischen Erziehung, die er im Wesent-
lichen R. Schoeli verdankte, zwei ihn bestimmende Einwirkungen
erfahren, vonM.Bernays her seinenBegriff von Literaturgeschichte,
von Zeller seine Verbindung mit der Philosophie. Die antike Li-
teratur war für Boll ein Teii der Weltiiteratur. In ihr liebte und las
er alles Große, wenn ihm auch das idyllische näher lag, ais das
episch-heroische, Jean Paul, Hölderlin und Mörike näher als Kleist
und Schiller, die Odyssee näher als die Ilias, Horaz näher als
Vergil. Und da er in einem glänzendenGedächtnis dieSchätze des
Gelesenen aufspeicherte wie ein Kellermeister alte Weine, so war
es ihm ein leichtes, ein bei einem Alten zuerst auftretendes Wort,
einen Gedanken, ein Gleichnis durch die Jahrhunderte vari-
irend zu begleiten, wie ein Orgelspieler, der sein Thema durch
die Tonarten jagt. Wenn die Vorlesungen und Seminare
mancher Philoiogen dem Betrieb einer Küche gleichen, in dem man
vor lauter Lärm der Hantierung mit Pfannen, Tiegeln und zer-
brochenen Tellern zu keinem Genuß des Essens kommt, so war es
sein Vergnügen, dem Hörer als einem Feinschmecker lächelnd ein
köstliches Gericht nach dem anderen auf den Zauberschüsseln sei-
ner Geiehrsamkeit zu servieren. Durch die Verbindung mit der
Weltliteratur gewann sein Philologentum etwas Weltmännisches,
durch die Philosophie die Weite. Es ist das Tragische seines frühen
 
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