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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — N.F..1941

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Rossmann, Kurt: Versuch einer Geschichte des Heidelberger Schlosses von Clemens Brentano
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https://doi.org/10.11588/diglit.47635#0070
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Auch als Geschichtsschreiber tritt er in romantischer Verkleidung auf,
wenn freilich hier nicht in barocker Gestalt als poetischer Nachfahr des
Martin Opitz, wie in dem „Lied von eines Studenten Ankunft in Heidel-
berg“, wo er bewußt und mit liebenswürdiger Ironie altertümelt, aber
doch in der Weise der gedanklichen Vermittlung des Stoffes, der ihm als
„Bildungsstoff“ schon vorgeformt, schon vorgestimmt war. Der literari-
schen Maskierung hat Brentano nie entraten können. Nicht so sehr die
Geschichte, das Geschehen selbst und die Tatsachen (obwohl er seine
Quellen überaus sorgsam gelesen und geprüft hat), als was den Tatsachen
und Geschehnissen durch ihre frühen und späteren Aufzeichner an Ein-
drucks- und Erlebniswerten anhaftete, hat ihn gefesselt. Und nicht an-
ders als mit den Liedern zu „Des Knaben Wunderhorn“ ist er dabei ver-
fahren. Wollte der selbstsichere Arnim die Lieder nach seinem Sinn um-
formen und neuprägen, so hielt Brentano um so mehr an den alten For-
men fest, ja wollte sie eher noch altertümlicher, noch „volkstümlicher“
haben, als sie waren. Der Goldgrund war ihm wichtiger fast als das Bild.
Herder, der geistige Wegbereiter der Romantik und Anreger auch
aller romantischen Geschichtsinteressen, dessen ahnendem Blick die Ge-
schichte als Entwicklung und Entfaltung göttlicher Schöpfung sich offen-
barte, hat das Wesen der geschichtlichen Erscheinungen in ihrer zeitli-
chen Bedingtheit jeweils noch als Ganzes wahrgenommen und gedeutet.
Darin unterscheidet er sich von den Romantikern und weist über sie
hinaus, die des Ganzen nur im Unendlichen inne werden zu können ver-
meinten. So ging es auch Brentano, von Tieck und Creuzer geleitet, bei
seinen Entdeckungsfahrten in die Vergangenheit weniger um die Ein-
sicht in die großen Zusammenhänge und weniger um die Erkenntnis ein-
maliger geschichtlicher Formen (wie Herder etwa mit seiner Wiederent-
deckung von Jakob Baldes und Valentin Andreaes Poesien), als um die
Vergangenheit als Mythos, um den Zusammenklang im Grunde mythisch-
zeitloser Seelenregungen, Gefühle, Farben und Töne. Erst in der Sphäre
des Unwirklichen fühlte sich Brentano ganz frei. Geschichte verwandelte
sich unter seiner Berührung zu Märchen und Sage, und die Sage galt ihm
als die „einzige Selbstbiographie“ der Geschichte.
Das freie Dahersingen in der Rolle des fahrenden Schülers und der
schlichte, unverpflichtende Erzählerton des Märchendichters lagen Bren-
tano am nächsten, wenn man von seinen erregten und erschütternden ly-
rischen Selbstbekenntnissen und seinen religiösen Dichtungen absehen
will, die aufschlußreicher für seine Person und sein Menschtum sind als
für seine Kunst. Als Erzähler aber zeigte er sich dort am wahrsten, wo
er, wie in der „Geschichte vom braven Kasperl und dem schönen Ännerl“
in der Form der Rahmennovelle in loser Folge und ganz auf die seeli-
 
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