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Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher — N.F..1954

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Nagel, Bert: Zur Interpretation und Wertung des Nibelungenliedes
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https://doi.org/10.11588/diglit.47639#0018
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Bilder in zeitgeschichtlich bedingter Gestalt9. „Was aber bleibt, stiften die
Dichter.“ Interpretation und Wertung wollen letztlich nichts anderes, als
durch eingehende Erhellung der Dichtung sich dieses Bleibenden versichern.
Im Blick auf das NI. einen Beitrag zu dieser Aufgabe zu leisten, ist das Ziel
dieser Darlegungen. Vor allem wollen sie mithelfen, das künstlerische
Eigentum des Nibelungenepikers schärfer als bisher zu sehen10. Indessen
können im Rahmen dieser Abhandlung nur erst einige vorläufige Beob-
achtungen vorgetragen werden, die jedoch Kernfragen betreffen. Im übri-
gen aber muß auf die angekündigte Gesamtdarstellung vorausverwiesen
werden11.
Leider ist es aus Raumgründen nicht möglich, über Geschichte und Stand
derNibelungenforschung einleitend zu berichten12. Uber den eigenen Stand-
ort der Betrachtung sowie über die Art des hier geübten Interpretations-
verfährens werden jedoch die Ausführungen selbst Aufschluß geben. Ins-
gesamt werden drei Einzelprobleme behandelt. Der erste Abschnitt gilt dem
scheinbar Äußerlichsten, nämlich der strophischen Form des NI., und sucht
die Frage zu beantworten, was die Strophe als bewußt gewähltes Form-
mittel für den Dichter bedeutet und geleistet hat13. Abschnitt 2 behandelt
den Dichtungseingang und will erkunden, ob in diesem Anfang auch der
innere Ansatz des Dichters sichtbar gemacht werden kann. Der dritte und
letzte Abschnitt befaßt sich mit der Frage der Widersprüche im NI. Daß sie
aus der vielschichtigen Geologie des Werkes herstammen, ist unbestreitbar.
Indessen ist aber dadurch ihr Vorkommen im Gedicht doch nur zur Hälfte
erklärt. Am Beispiel des zwielichtigen Siegfried-Brünhild-Verhältnisses soll
diese Frage erörtert und zugleich darüber befunden werden, ob die Wider-
sprüchlichkeiten des NI. lediglich „geologisch“ — also durch ein gestalte-
risches Versagen des Dichters — bedingt sind oder auch als in einem tieferen
Sinne begründet und künstlerisch notwendig zu gelten haben.
Noch viele Einzelprobleme würden sich mit gleichem Recht zu besonde-
rer Erörterung empfehlen. Der Widerstreit zwischen dramatischem Gestal-
9 Vgl. J. Richter, Das Menschenlos in Wolframs Parzival und Goethes Faust, Wolfram-
Jahrbuch 1953, S. 7.
10 Vgl. B. Nagel, Die künstlerische Eigenleistung des Nl.dichters, Wolfram-Jahrbuch
1953, S. 23—47, eine bereits vor Jahren verfaßte Studie, die durch die hier vorgetragenen
Ausführungen im einzelnen modifiziert wird.
11 Anm. 1.
12 Als Forschungsbericht jüngsten Datums sei S. Beyschlag, Das NI. in gegenwärtiger
Sicht, Wirkendes Wort, 3. Jg. 1952/53, S. 193 ff. angeführt. Der Ertrag von Fr. Panzers
Forschungen ist leider noch nicht genügend ausgewertet. Auf K. Wais, Frühe Epik
Westeuropas und die Vorgeschichte des NI., Tübingen 1953, 1, als bisher vielschichtigste
Quellenuntersuchung, sei nachdrücklich hingewiesen.
13 Die Frage nach der Strophenform des Gedichtes liegt schon deshalb nahe, weil das
NI. auch infolge dieser seiner äußeren Form eine Sonderstellung innerhalb der mhd. Epik
einnimmt. Ist es doch das älteste erhaltene strophische Epos des deutschen Mittelalters.
 
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