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Derwein, Herbert; Historisch-Philosophischer Verein <Heidelberg> [Hrsg.]
Neue Heidelberger Jahrbücher: Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49: ein Stück badischer Bürgergeschichte — Heidelberg: Verlag von G. Koester, N.F..1958

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Derwein, Herbert: Heidelberg im Vormärz und in der Revolution 1848/49 - Ein Stück badischer Bürgergeschichte
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Vom Befreiungskrieg bis zur Julirevolution
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https://doi.org/10.11588/diglit.47640#0014
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schäften burschikose Reden, sang die Studentenlieder und fühlte sich ge-
ehrt, wenn ein Akademiker sich herabließ, sie in ein längeres Gespräch zu
ziehen.
Zugleich wuchs seit den Tagen der Romantik ständig die Zahl derer, die
in Heidelberg für Wochen oder Tage Erholung und Anregung suchten oder
die sich gar auf Jahre oder Lebenszeit in der Stadt niederließen, die durch
ihre rasch aufblühende Universität und ihre neuentdeckte landschaftliche
Schönheit die Augen der Welt auf sich richtete. Schon in den 1820er Jahren
gaben die Ausländer unter den Fremden mit den ausländischen Studenten
dem Leben in den Gassen einen internationalen Einschlag.
Die eigene Wohlfahrt von außen erwarten — von den herbeiziehenden
Studenten und Fremden, denen man in Dienstbeflissenheit gefällig sein
will, dazu der ständige Anblick von Müßiggang, unbeschwertem Leben
und oft von Verschwendung — das ist für eine Kleinstadt mit einer schwach
entwickelten Wirtschaft kein sonderlich günstiger Boden für die Entfal-
tung von Initiative, Selbstverantwortung und haushälterischem Sinn. Der
gespannte Arbeitsrhythmus von Mannheim, der werdenden Industriestadt,
rief alle Kräfte der aufstrebenden Bevölkerung wach. Für breite Schichten
Heidelbergs dagegen bestand die Gefahr, sich an ein Leben ohne große
Anstrengung, an eine Kleinerwerbsgenügsamkeit zu gewöhnen. Sie wer-
den schnell die Parolen der Zeit aufgreifen, die ihnen persönliche Rechte
und Vorteile versprechen, aber sie werden gegenüber heftigen Widerstän-
den auch bald erlahmen und in ihr Selbstbescheiden zurückfallen — es sei
denn, daß eine starke Persönlichkeit sie mitreißt, ihren Willen härtet,
ihnen eingängige Ziele einhämmert, die über ihre enge Welt hinausreichen.
Auch die Kurpfälzer Zeit hatte den Heidelbergern nichts hinterlassen,
an dem bürgerliches Selbstbewußtsein erstarken konnte. Das Kurpfälzer
Heidelberg hat viele bedeutende Persönlichkeiten gehabt, die in die
deutsche Geschichte eingegangen sind, zumal Fürsten, Gelehrte, Geistliche.
Aber man wird nicht einen einzigen „Bürger“ finden, der ins Große und
Weite wirkte, von dem eine formende Kraft auf das Gemeinwesen ausge-
gangen ist, der in der Erinnerung späterer Geschlechter weiterlebt. Der
Ruhm einer reichen Vergangenheit der Stadt erstrahlte nicht im Eigenlicht
der Bürger, er war entliehen von dem Glanz, der von den Herren auf dem
Schloß und von der Universität ausging. Daß Heidelberg in der Blütezeit
deutschen Städtewesens das belebende und vorwärtsstoßende Element der
Großkaufleute, denen der Handel mit der Welt Reichtum, Selbstsicherheit
und Wagemut verleiht, gefehlt hat, ist für seine Entwicklung auf lange
bedeutsam gewesen. Die Stadt zu Füßen der Burg wurde geführt und
überwacht vom Pfalzgrafen, der im Laufe der Zeiten die Zügel nur noch
straffer anzog. So fest war die Bürgerschaft eingegliedert in die von oben

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